Blamage für Berlin

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Russen feiern im Treptower Park Putins Angriffskrieg

Eigentlich verboten: Fahnen des Separatistengebiets Donezk, von Russland und der Sowjetunion am Montag im Treptower Park. Foto: ks

Strahlend blauer Himmel, der Treptower Park ertrinkt in frischem Grün, in den Bäumen übertönen Nachtigallen mit Leichtigkeit den Autoverkehr auf der Puschkinallee. Gerade hat eine Gruppe Russen auf dem sowjetischen Ehrenmal in der Sonne einen Kreis gebildet. Sie singen fröhlich "Katjuscha" und schwenken große bunte Flaggen. Dürfen sie das überhaupt? Gibt es da nicht ein Verbot der Polizei? 20 Meter entfernt stehen sieben, acht Polizisten in türkisgrünen Westen herum. "Es sind Fahnen der Slowakei und ... Die sind erlaubt", wiegeln sie lustlos ab. "Aber da ist auch eine russische dabei und eine sowjetische mit Hammer und Sichel. Ich habe es genau gesehen!" Es dauert eine ganze Weile, dann setzen sich die Ordnungshüter langsam und eher widerwillig in Bewegung, um nun doch einmal nach dem Rechten zu sehen.

Nur eine von vielen ähnlichen Szenen am Montag, 9. Mai, als zahlreiche Russen in Berlin den "Tag der Befreiung" begingen. Noch einen Tag zuvor, am Sonntag, hatte alles ganz anders ausgesehen. Da wollte Stefan Büttner mit weißem Dreizack auf dem hellblauen T-Shirt in den Park und wurde nicht eingelassen. Nun ist der "Trysub" zwar sehr wohl ein Symbol der Ukraine, aber keine "Fahne" oder "Flagge", wie von der Polizei untersagt. Und eigentlich handelt es sich ja auch nur um ein verwaschenes T-Shirt. Aber - kein Erbarmen! Der 48-Jährige musste es ausziehen, es wurde beschlagnahmt und er hatte nur Glück, dass er von einem Freund ein Ersatz-Shirt ausgeliehen bekam, sonst hätte er wohl der deutschen Kapitulation mit nacktem Oberkörper gedenken müssen.

Am Montag, an dem traditionell die russische Community feiert, galten diese Regeln nicht mehr. Überall sprangen sie am Treptower Ehrenmal ins Auge: T-Shirts mit Hammer und Sichel, Aufnäher mit russischen Farben, Uniformteile, blau-weiß gestreifte Unterhemden der russischen Fallschirmjäger oder Marineinfanterie, Orden, ein Shirt mit "Putin heißt Frieden" und jede Menge schwarz-orange St.-Georgsbändchen. Muskelbepackte Machos hatten sie sich angesteckt, vornehme Anzugträger, herausgeputzte junge Damen genauso wie dicke Muttis mit Kinderwagen. Polizisten standen oft direkt daneben, lächelten diffus und sahen keinerlei Grund einzugreifen. "Hier werden keine T-Shirts ausgezogen", so eine Beamtin auf direkte Anfrage. Ja nun, das würde eben wechseln und läge am Einsatzleiter. "Und bitte treten Sie nicht auf das Gras, sondern bleiben Sie auf der befestigten Fläche!"

Berlin hatte sich mit dem Verbot von russischen wie ukrainischen Fahnen an den 15 Gedenkstätten ohnehin keine Freunde gemacht. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk warf dem Senat vor, im aktuellen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine Opfer und Täter über einen Kamm zu scheren. Dass neben den russischen auch ukrainische Symbole untersagt wurden, sei "schlicht und einfach ungeheuerlich". Überdies entstand nun der Eindruck, dass die Berliner Polizei mit zwei verschiedenen Maßstäben misst: Während am Sonntag im Tiergarten eine riesige ukrainische Fahne eingerollt werden musste, durfte am Montag im Treptower Park beim Besuch von Putins Botschafter ein russisches Fahnenmeer wehen. Diese Bilder gingen um die ganze Welt.

"Rossiya! Rossiya! Urraaa! Urraaa! Urraaa!" Foto: ks

Am Nachmittag herrscht dort Volksfest-Stimmung. Direkt vor der Treppe zum Pavillon singen sie ungehindert und voller Inbrunst die russische Nationalhymne. Einmal, zweimal. Es folgen begeisterte Schreie: "Rossiya! Rossiya! Rossiya! Za pobedu! Za pobedu! Urraaa! Urraaa! Urraaa!" Ähnlich mag es klingen, wenn die russische Soldateska zum Sturm auf Mariupol bläst. Und damit gar keine Zweifel mehr bestehen, welchem Krieg dieser Jubel gilt, halten Russen mit leuchtenden Augen nicht nur die sowjetische und die russische Flagge hoch, sondern auch eine Fahne der selbsternannten, lediglich von Russland und von Syrien anerkannten "Volksrepublik Donezk". Das geht eine ganze Weile so. Nach der ersten Runde verschwinden die Flaggen schnell wieder in den mitgebrachten Tragetaschen, nach der zweiten und nachhaltigen Hinweisen aus dem Publikum wird die Polizei doch unruhig und schreitet gemächlich ein.

Stefan Büttner hat es übrigens am Montag noch einmal versucht, mit blauem T-Shirt, gelber Hose und ohne Wappen. Ginge gar nicht, meinte ein junger Polizist am Eingangstor. Er wollte sich schon auf eine umfängliche Debatte einlassen, was an diesen bunten Kleidungsstücken nun eine "Fahne" sei und geeignet, die öffentliche Sicherheit zu gefährden, da wurde er von einem älteren Kollegen gestoppt. Lass ihn durch, bedeutete der mit einer müden Handbewegung: "Die haben damals auch mitgekämpft!"


Kommentar: Erinnerungen als Propagandawaffe

Berlin hatte schon immer ein großes Talent dazu, sich lächerlich zu machen. Optimisten hofften, dies würde sich vielleicht mit dem Ende der Amtszeit von Michael Müller (SPD) ändern, aber diese Hoffnung trog. Allerdings war die Aufgabe zugegebenermaßen auch nicht einfach: Auf der einen Seite tobt in der Ukraine ein verbrecherischer, völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands, auf der anderen ist da das Gedenken an die deutsche Kapitulation am 8. / 9. Mai 1945, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, ein mit Recht hochsensibles Datum, an dem man als Deutscher leicht "Nazi! Nazi!" hinterhergeschrien bekommt, wenn man auch nur den geringsten Fehler macht.

Was also tun? Die Berliner Polizei oder die Innenverwaltung oder der Senat, wer immer sich das auch ausdachte, haben sich schlicht und einfach weggeduckt. Sie glaubten, so tun zu können, als hätte das eine nichts mit dem anderen zu tun. Das Gedenken an die Befreiung, so Innensenatorin Iris Spranger (SPD) in einer Pressemitteilung, sei "klar zu trennen von der Situation im Mai 2022", also vom russischen Angriffskrieg. Es gehe darum, an den Gedenkorten "jede Konfrontation zu verhindern". Zu den befürchteten Konfrontationen kam es tatsächlich nicht, weshalb sich Spranger und die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) anschließend mit Erfolgsmeldungen überboten.

In Wirklichkeit aber sind sie mit ihrer Strategie, wie Alexander Fröhlich im "Tagesspiegel" zu Recht kommentiert (leider hinter der Bezahlschranke), "kolossal gescheitert". Denn natürlich ist das eine mit dem anderen aufs engste verknüpft. Wladimir Putin greift ja gerade auf die Geschichte zurück: Die Siege von damals werden zum Argument für den Terror von heute - und so ist jedes St. Georgsbändchen, das am 8. und 9. Mai in Berlin getragen wurde, weniger eine Erinnerung an gefallene Angehörige als vielmehr ein Bekenntnis zu Putin, zum russischen Krieg und zu russischen Kriegsverbrechen. Wie kann man nur so blind und naiv sein, das nicht zu sehen?

Deshalb haben auch die ukrainischen Verbände, Außenminister Dmytro Kuleba und Botschafter Melnyk völlig recht, wenn sie hell empört darüber sind, dass die Symbole der Kriegsverbrecher und die Symbole der Opfer in Berliner Augen offensichtlich gleich viel zählen. Und deshalb hat auch Johannes Boie recht, wenn er in der Bild-Zeitung fordert: "Blau-Gelb hissen statt verbieten!"

Als Anfang April, ausgerechnet an dem Tag, an dem die Massaker von Butscha ans Licht kamen, ein pro-russischer Autokorso durch Berlin rollte, überwog das Entsetzen. Versucht man das halbherzige Verhalten der sonst nicht eben zimperlichen Berliner Polizei einzuordnen, so ist es am 9. Mai anscheinend nicht ihr oberstes Ziel gewesen, solche "Bilder der Schande" um jeden Preis zu vermeiden. Schlimmer wären für Iris Spranger wohl Bilder von handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Russen und Ukrainern oder deutscher Polizei und Putin-Anhängern gewesen.

Also kassierte man am ukrainischen Sonntag alles ein, was sich blau-gelb aus der Deckung wagte, und am russischen Montag ließ man es eben laufen, wie es lief - begleitet allenfalls von freundlichen Ermahnungen. Vielleicht kam auch noch jemand auf die abwegige Idee, andernfalls reagiere Putin verschnupft und der drohende Atomkrieg rücke wieder ein Stückchen näher. Bei der SPD weiß man schließlich nie.

Generell lässt sich natürlich fragen, was ein "Tag des Sieges" über den deutschen Faschismus noch zu bedeuten hat, wenn die Nachfolger der damaligen Sieger inzwischen selber zu Faschisten geworden sind. Insgesamt könnte die Berliner Erinnerungskultur dringend ein Update vertragen. Im KZ Bergen-Belsen wurden dieses Jahr Kränze politischer Institutionen aus Russland und Belarus abgewiesen; für Opfer aus diesen Staaten gab es Kränze mit weißen Schleifen. In Berlin selbst geht das Kapitulationsmuseum in Karlshorst erste Schritte. Statt "Deutsch-Russisches Museum" heißt es jetzt nur "Museum Berlin-Karlshorst". Und am Eingang hängt neuerdings eine einzige, blau-gelbe Flagge. "Unsere Solidarität gilt der Ukraine", sagt Museumschef Jörg Morré.