Vergessenes Viertel

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Hannah Sophie Lupper (SPD): Warum ich unbedingt in die BVV gewählt werden will

Hannah Sophie Lupper (SPD). Foto: Petrov Ahner

Unvorhergesehenes gehört zum Wahlkampf. Ich weiß ja, dass Politiker:innen zu allem sprechfähig sein sollen. Also sitze ich nun an meinem Schreibtisch und verfasse einen Text über Jim Knopf, das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ und den gemeinen Kreuzberger Regenwurm. Ein bisschen ist diese Aufgabe, wie die Arbeit in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg immer ist: Wenn Du denkst, Du hast schon alles gesehen, beweist Dir der politische Alltag das Gegenteil.

Debatten über Jim Knopf und die Deutsche Wohnen sind mir im politischen Raum häufiger begegnet, aber der Regenwurm ist ein ganz neues politisches Feld. Darum möchte ich mit ihm beginnen.

Ich begegne täglich Tieren in der Stadt: Mäusen und Ratten am Mehringplatz. Manchmal auch Füchsen in der Gneisenaustraße und vor allem im Blücherpark wimmelt es abends von Kaninchen. In Mitte gibt es inzwischen sogar eine große Möwenkolonie, die zielsicher frisch geputzte Scheiben in Bundestagsbüros anpeilt und einen Höllenlärm verbreitet. Neulich flog mir Unter den Linden ein halb verdauter Fisch vor die Füße. Nur Regenwürmer begegnen mir in der Stadt selten. Vielleicht haben die Möwen und Ratten sie alle gefressen?

Apropos Fressen: Die Mieten fressen einen zu hohen Anteil der Einkommen. So sehr, dass es für viele Menschen existenzbedrohend ist. Meine Sorge beim Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ist jedoch, dass ein solches Gesetz keinem Verfassungsgerichtsurteil standhalten würde. Sollte der Volksentscheid mit „Ja“ entschieden werden, müsste man das selbstverständlich prüfen. Nachdem uns der Mietendeckel um die Ohren geflogen ist, liegen meine Hoffnungen aber eher im Bund. Eine rot-grüne Regierung – wahrscheinlich unter Beteiligung einer weiteren Partei – macht seit Jahren zum ersten Mal Hoffnung auf einen Mietenstopp auf Bundesebene. Zugleich muss gebaut werden, um das Wohnungsangebot zu vergrößern. In den nächsten Jahren möchte ich daran mitarbeiten, dass auch die notwendige Infrastruktur mitwächst. Wo Wohnungen entstehen, brauchen wir auch Kitas, Schulen, kleines Gewerbe und Platz für soziale Projekte und für Kunst. In einem sich immer weiter verdichtenden Bezirk wird das wohl die größte Herausforderung werden.

Herausfordernd ist es auch immer wieder in der BVV: Debatten über die Umbenennung von Straßen mit kolonialem Bezug sind wichtig und richtig. Müssen wir wirklich Menschen in unserer Stadt ehren, die von rassistischer Ideologie getrieben in den ehemaligen deutschen Kolonien gemordet und versklavt haben? Solche Menschen sind nicht ehrenwürdig. Können wir nicht aufhören, das N-Wort oder M-Wort zu benutzen, das früher ganz selbstverständlich in Kinderbüchern wie Jim Knopf vorkam? Ganz anders sehe ich aber die Umbenennung aller Straßen des Generalszuges. Erstens müsste man dann auch ganz Kreuzberg umbenennen, dessen Name immerhin mit Bezug auf das Eiserne Kreuz entstand. Zweitens sind mir keine Napoleonischen Truppenangehörigen in Kreuzberg 61 bekannt, die man durch die Ehrung von preußischen Militärs diskriminieren würde.

Solche Debatten über die Napoleonischen Kriege kann man führen, wenn es sonst nichts mehr zu tun gibt. Wir haben aber Problemlagen in unserem Bezirk, die wir mit mindestens so großer Verve angehen müssen. In der Südlichen Friedrichstadt liegt rund um den Mehringplatz ein vergessenes Viertel. Man baut für Millionen in der Bergmannstraße herum und dort herrscht seit zehn Jahren Dauerbaustelle und Gewerbeleerstand. Die Menschen dort fühlen sich vom Bezirksamt vernachlässigt. Zu Recht. Sie sind es.

Ich möchte die kommenden Jahre politisch dafür arbeiten, dass wir genauer dort hinschauen. Dass nicht nur Debatten gut vernetzter und politisch organisierter Gruppen aufgegriffen werden. Der Bezirk muss da präsent sein, wo sich Menschen nicht organisieren. Wo Kinder und Jugendliche aufwachsen ohne Bildungskarriere und bürgerliches Umfeld. Niemandem ist geholfen, wenn wir immer wieder Ressourcen und Geld in halbfertige und manchmal peinliche Modellversuche stecken. Der Bezirk kommt an vielen Stellen seinen Pflichten nicht nach, versucht sich aber permanent an der Kür. Lasst uns gerne über spannende, neue Projekte nachdenken. Wenn wir zugleich dafür sorgen, dass die Verwaltung gut funktioniert, die Straßen sauber sind, Kinder und Jugendliche auf Schulen gehen, die nicht marode sind, und die Infrastruktur funktioniert. Um immer wieder den Finger in genau diese Wunden zu legen, möchte ich weiter Politik machen.

Hannah Sophie Lupper (SPD)