Kein Osterhase

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Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus): Hoppelt um die Amerika-Gedenkbibliothek herum

Im Unterschied zum Hasen hat das Kaninchen große dunkle Augen. Foto: ks

Nein, das ist kein Osterhase. Erstens existiert der überhaupt nicht. Der Frankfurter Arzt Johannes Richier erwähnte in seiner Dissertation "Disputatione ordinaria disquirens de ovis paschalibus / von Oster-Eyern" 1682 erstmals diese überaus seltsame Idee, wonach ein Hase bunte Eier lege, enttarnte sie aber sogleich als "fabula, que simplicioribus et infantibus imponunt" (eine Fabel, die Einfältigen und Kindern aufgebunden wird). Die Zeiten schritten inzwischen fort und heutige Psychologen grübeln darüber nach, ob der kindliche Glaube an Fantasiegestalten nun "gut für die kognitive Entwicklung" sei oder nicht umgekehrt das Vertrauensverhältnis zu den Eltern untergräbt, wenn sich später einmal herausstellt, dass nichts dahinter ist. Nun ja.

Richtig als Brauch hat sich das Ostereier-Suchen  übrigens erst im 19. Jahrhundert etabliert, als sich Rübenzucker billig industriell herstellen ließ und damit aus den Schokoladenhasen und -eiern ein lukratives Geschäft geworden war. Kapitalismus eben. Aber es macht riesig Spaß! Vielleicht weiß der eine oder andere noch, wie es da im tiefen Gras, unten am Baumstamm oder auf einem Moospolster plötzlich aufblitzte, silbern, golden, jedenfalls Stanniol, und wie man schon als Kind überlegte, wo die Eltern die Süßigkeiten möglichst raffiniert versteckt haben mochten, aber doch auch wieder so, dass sie zu finden waren.

Das überraschende Glück, dass das Objekt der Begierde nicht im Schweiße seines Angesichts hart erarbeitet werden muss, sondern im Sonnenlicht funkelnd gleichsam auf der Straße liegt! Ein bisschen davon hat das Pilze-Suchen der Erwachsenen bewahrt, leckere Steinpilze, Rotkappen, Maronen und Pfifferlinge, die niemand bezahlen muss, für die man sich nur zu bücken braucht. Ein steinzeitliches Vergnügen, das noch vor die Erfindung des Ackerbaus zurückreicht, vor die Vertreibung aus dem Paradies. Kollektive Erinnerungen an eine Natur, die nicht bezwungen werden muss, sich freundlich zeigt und großmütig spendet, was zum Überleben benötigt wird.

Zweitens kann das oben auf dem Foto kein Osterhase sein, weil es ein Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus) ist. Der Feldhase (Lepus europaeus) fällt deutlich größer aus, ist ein Einzelgänger und seltener in der Großstadt heimisch (witzigerweise trifft man Feldhasen eher im Osten, Kaninchen im Westen Berlins). Sicheres Merkmal: Hasen haben gelbe Augen mit schwarzer Pupille, die von Kaninchen sind gleichförmig dunkelbraun. Sie hoppeln in der Dämmerung um die Amerika-Gedenkbibliothek herum oder über die Grünflächen im Prinzenbad. Im Unterschied zu anderen denken wir bei ihrem Anblick nicht an Kaninchenbraten, sondern lassen sie hoppeln und freuen uns, dass es sie gibt.