Maskenpflicht nur im ÖPNV

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Berlin macht es wieder einmal anders als alle anderen

Im Berliner ÖPNV ist alles klar: Einstieg nur mit Maske! Warum nicht auch im Einzelhandel? Foto: ks

Blicken wir ein paar Tage in die Zukunft? Die U 7 morgens im Stoßverkehr, die Leute drängen sich dicht an dicht und jeder hat so ein Stück Stoff im Gesicht. Das wäre für Kreuzberg wohl ein sehr ungewöhnliches Bild! Wie viele werden sich an die Maskenpflicht halten? Im Voraus kann das keiner wissen. In ein paar Wochen lässt sich die Frage wahrscheinlich besser beantworten.

Über eine verpflichtende Mund-Nasen-Maske im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie war lange gestritten worden. Die Bundeskanzlerin mischte sich ein, die Bundesländer stritten erneut und dann verkündete der Berliner Senat: »Bei der Nutzung des ÖPNV ist ab 27. April eine textile Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.« Ein Schal oder ein Tuch tut es also auch.

Berlin ist bei Redaktionsschluss dieses Textes am 26. April das einzige Bundesland, das einen Mund-Nasen-Schutz zwar im ÖPNV, jedoch nicht in Einzelhandelsgeschäften vorschreibt. Dort wird er lediglich »dringend empfohlen«. Das Tragen von Masken in Bussen und U-Bahn wird von der BVG nicht kontrolliert. »Wir sind ein Verkehrsunternehmen, keine Ordnungsmacht«, heißt es. Bußgelder bei Verstößen sind laut dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller ebenfalls nicht vorgesehen.

Ohnehin scheint es in Teilen der rot-rot-grünen Koalition Widerstände gegeben zu haben. Die Linken befürchten offenbar, dass die Maske zu einer »Virenfalle« wird. Bei den Grünen hört man, Masken könnten »auch in falscher Sicherheit wiegen«. Die SPD hingegen will nun nachbessern und die Maskenpflicht wie in anderen Bundesländern auf die Geschäfte ausweiten.

Immer mehr Initiativen im Kiez versuchen sich an der Nähmaschine

Wo man solche behelfsmäßigen Mund-Nasen-Masken tragen muss, ist die eine Frage. Die andere: Wo bekommt man so ein Teil überhaupt her? Die Senatsverwaltung für Wirtschaft verweist auf ein Portal, wo sich Anbieter und Nutzer vernetzen können. Der Senat will diese Woche außerdem 147.000 Masken kostenlos an Bedürftige verteilen. Schon am Montag, 27. April, sollen die meisten davon den Bezirken zugestellt werden. Die Masken sind für diejenigen bestimmt, die keine Möglichkeit haben, sich eigene Masken zu besorgen. Laut Senat können Bürger die Masken bei den örtlichen Rathäusern abholen. Details sind dazu aber noch unklar.

Im Kiez gibt es inzwischen viele Ini­­tiativen, die solche Behelfsmasken aus Stoff selbst herstellen. Dabei gilt, dass sie den Träger nicht vor dem Corona-Virus schützen, unter Umständen aber das Risiko vermindern, dass er andere ungewollt infiziert.

  • mog61 Miteinander oh­ne Grenzen e.V. hat früh begonnen, Masken zu nähen. Sie kommen sozialen Organisationen, Mitgliedern von Risikogruppen, Men­schen mit systemrelevanten Berufen und Geflüchteten zugute und sind kostenlos. Wer noch mithelfen möchte, ist herzlich willkommen. Der Verein freut sich auch sehr über Stoffspenden.
  • Auch das Nachbarschaftshaus Urban­straße will nach mog61-Vorbild G­e­­sichts­masken nähen und sucht Stoffe aus reiner Baumwolle.
  • Bei der WollLust in der Mittenwalder Straße werden ebenfalls hübsche Masken genäht. Der Erlös geht an Kneipen, die wegen Corona schließen mussten, etwa an den UnterRock, an Backbord und Dodo.

Insgesamt entsteht derzeit der Eindruck, dass Masken nicht mehr ausverkauft, sondern hier und da zu kriegen sind. Wenn es nicht um eine Spende geht, sollte man sich aber vor überhöhten Preisen hüten. Als eine fliegende Händlerin am Marheinekeplatz kürzlich das Geschäft ihres Lebens machen wollte, wurde sie prompt als »Krisengewinnlerin« beschimpft.


Kommentar: Fauler Kompromiss

Die Berliner Politik hinterlässt einmal mehr Ratlosigkeit. Wenn die behelfsmäßigen Mund-Nasen-Masken, von denen jetzt überall die Rede ist, tatsächlich sinnvoll sind – warum werden sie dann um alles in der Welt nur im ÖPNV, aber nicht im Einzelhandel vorgeschrieben?

Die Antwort ist relativ einfach. In Berlin hat derzeit niemand vor, das Tragen von Masken in Bus und Bahn zu kontrollieren oder Verstöße zu ahnden. Deshalb ist die Maskenpflicht dort im Grunde gar keine Maskenpflicht, sondern auch nicht viel mehr als eine Empfehlung. In den Geschäften hingegen wären die Händler dafür verantwortlich gewesen, dass die Regeln beachtet werden.

Politisch gesehen ist es ein fauler Kompromiss. Wer die Maskenpflicht haben wollte, bekommt sie. Und wer sie nicht haben wollte, kann sich damit trösten, dass es in Wirklichkeit gar keine ist. In der Sache – mit Blick auf das längst noch nicht besiegte Virus – macht Berlin vermutlich gerade einen Fehler.