Ukrainer feiern in St. Thomas das orthodoxe Osterfest
So voll war die St.-Thomas-Kirche am Kreuzberger Mariannenplatz wohl lange nicht mehr. Die Gläubigen standen eng beieinander und als sie am Ende des rund eineinhalbstündigen Gottesdienstes ins Freie drängten, um sich selbst und die mitgebrachten Osterkörbchen segnen zu lassen, waren es einige hundert. Geflüchtete aus der Ukraine vor allem, ältere Frauen mit geblümten Kopftüchern, sehr viele junge Familien mit kleinen Kindern. Sie feierten am gestrigen Sonntag das orthodoxe Osterfest.
Denn das christlich-orthodoxe Ostern folgt nicht dem gregorianischen, sondern dem julianischen Kalender, deshalb lag es in diesem Jahr um eine Woche später. Es ist der Höhepunkt des orthodoxen Kirchenjahrs, während im katholischen oder lutherischen Glauben der Schwerpunkt auf Weihnachten liegt. Traditionell findet der eigentliche Gottesdienst in der Nacht vom Ostersamstag zum Sonntag statt: Um Mitternacht entzündet der Priester in der stockdunklen Kirche eine Kerze und gibt das hochsymbolische Licht an die Gemeinde weiter. Um sechs Uhr morgens, zum Sonnenaufgang, bringen dann die Gläubigen Körbchen mit Brot, Wurst, Käse, Kuchen, Wein und Ostereiern, damit sie geweiht werden. "Pysanka" heißen die oft liebevoll bemalten Ostereier auf Ukrainisch.
Ein Gottesdienst um die Mittagszeit ist eher unüblich, aber 13 Uhr wurde als Termin gewählt, damit möglichst viele UkrainerInnen aus Berlin und Brandenburg teilnehmen können. Auch ohne Ikonostase und goldgeschmückte Mosaiken war im eher kargen, kalten und zugigen Kirchenschiff von St. Thomas die Pracht des orthodoxen Ritus zumindest zu erahnen. Keine Orgel, kein Gemeindegesang, auch wird nicht gekniet. Dafür bekreuzigen sich die meist stehenden Gläubigen häufig. Fast der gesamte Gottesdienst wird in einem harmonischen Sprechgesang des Priesters vorgetragen, oft im Zwiegesang mit einer Kantorin, nur beim Vaterunser und beim Glaubensbekenntnis sprechen alle. Und es duftet die ganze Zeit über wunderbar nach dem reichlich herumgeschwenkten Weihrauch.
Der Priester las aus dem Johannesevangelium: "Es scheint ein Licht in der Finsternis!" Immer wieder waren die Worte "Nascha Ukraina" zu hören, "unsere Ukraine". Es ist eine Kirche im Exil, eine Kirche und ein ganzes Land in großer Not. Die bedrückte Stimmung war während des Gottesdienstes deutlich zu spüren, auf jungen wie alten Gesichtern lagen schwere Sorgen. Eine Weile wurden auf kleinen Zetteln Fürbitten zum Altar weitergereicht und es wird sich wohl um Bitten für Angehörige im Krieg gehandelt haben. Aber natürlich ist unsicher, ob das eingenommene Abendmahl wirklich gegen den brutalen russischen Angriffskrieg hilft.
Nun ist Ostern für Christen auch ein Grund zur Freude. Doch diese brach sich erst am Ende Bahn, als Pater Oleg Kovalenko sich einen Spaß daraus machte, seine Gemeinde und all die Körbchen mit verzierten Kuchen, Eiern und Plüschtieren aus einem Eimer voll Weihwasser richtig nass zu spritzen. Da lachten alle. "Christos voskrese!" - "Voistinu voskrese!" - "Christus ist auferstanden!" - "Er ist wahrhaftig auferstanden!" Der traditionelle Ostergruß und der Gegengruß. Klang fast ein bisschen wie "Slava ukraini!" - "Heroyam slava!" und bedeutete in der aktuellen Bedrängnis wohl auch so ungefähr dasselbe.