»Der pure Wahnsinn!«

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Rudolf Stodola war musikalischer Leiter der Theatermanufaktur

Rudi Stodola. Foto: F. Roland-Beeneken

Wenn ein Mensch gestorben ist, denkt man darüber nach, was von ihm bleibt. Manchmal ein umfangreicher Nachlass, manchmal nur ein kleiner Pappkarton. Und immer, natürlich, sind es Erinnerungen. Was er gesagt hat, wie er gelächelt hat, was er gemocht hat. Woher er gekommen ist.

Rudolf Stodola ist in Wien aufgewachsen, in bescheidenen Verhältnissen: Arbeiterfamilie, der Vater Eisendreher, die Mutter Schneiderin, eine kleine Wohnung in der Badgasse. Immerhin mit Stutzflügel, so dass der kleine Rudi die große Chance bekam, Klavier zu lernen.

Als Junge war er in der Sozialistischen Mittelschülerbewegung aktiv – das steht für die politische Seite seiner Biografie. Für die schauspielerisch-musikalische die Begegnung mit den legendären »Komödianten« um Conny Hannes Meyer, Otto Zonschitz und Ilse Scheer, damals die Avantgarde der Wiener Theaterszene.

Mit Zonschitz und Scheer ging Stodola 1972 nach Berlin, wo man als politisch wacher Mensch damals natürlich dringend hinmusste. Dort gründete er mit ihnen und Berliner Kollegen in einer ehemaligen Schokoladenfabrik in Neukölln die »Theatermanufaktur«. Diese Quintessenz aus dem epischen Theater Brechts, Straßentheater und Commedia dell’arte muss äußerst beeindruckend gewesen sein. »Es war der pure Wahnsinn«, sagen Zeitgenossen heute noch über ihre ersten Eindrücke von der Truppe, die mit ihrem siebenköpfigen Ensemble locker 50 Personen auf die Bühne brachte. Oder: »Als ich sie gesehen habe, dachte ich: Wenn Theater, dann nur dieses und kein anderes!«

Rudolf Stodola war nicht nur musikalischer Leiter, sondern spielte auch mit – etwa als Faust in Hanns Eislers »Faustus« – und führte oft Co-Regie. Weggefährten rühmen seinen überragenden Musikverstand. Wie sein großes Vorbild Eisler wollte er mit der Musik nicht stimmungsvoll untermalen, nicht nur illustrieren, sondern kritisch kommentieren. Privat liebte er hingegen die Oper, vor allem Mozarts Don Giovanni. Da schimpfte er schon mal über eine neue Aufführung: »Ah geh, wieder so ein Schmarrn!«

Ältere Fotos zeigen einen eleganten Mann mit Spitzbart und Brille, der nicht nur mit Zylinder oder Schiebermütze auf dem Kopf eine gute Figur machte. Gepflegt sei er gewesen, heißt es, habe oft Dreiteiler mit Nadelstreifen getragen. Damit brach der Rudi, wie er von allen genannt wurde, manche Frauenherzen. »Ich fand Rudi hinreißend attraktiv«, erinnert sich eine Mitspielerin. »Aber irgendwann musste ich erkennen, dass er schwul war. Das war bitter!« Manche Männer mag es umso mehr gefreut haben. Im Umgang mit anderen konnte der gebürtige Wiener wunderbar blödeln – andererseits aber auch sehr feinfühlig und zurückhaltend sein.

Im Jahr 1982 übernahm die Theatermanufaktur das Haus am Halleschen Ufer, wo zuvor Peter Stein und Klaus Michael Grüber Maßstäbe gesetzt hatten. Das brachte neben neuen Möglichkeiten und gefeierten Inszenierungen auch Sorgen und Abhängigkeiten mit sich, welche die freie Truppe nie wirklich stemmte. Nach der Wende verlor sie die Unterstützung des Berliner Senats. Stodola begleitete Ilse Scheer weiter auf Klavier, Akkordeon und Gitarre und stellte seit 1997 mit der Berliner Compagnie 13 Inszenierungen auf die Bühne.

Längst war er von einem Zimmer ohne Wasser und Toilette im zweiten Hinterhaus in der Hermannstraße in den vierten Stock der Blücherstraße 21 umgezogen, weshalb man ihn manchmal nach durchzechter Nacht frühmorgens im »Logo« antraf.

Ganz am Ende begann er sich noch für Bob Dylan zu interessieren. Seinen letzten Applaus bekam er für seine Bühnenmusik zu »Sehnsucht nach dem Frühling« bei der Berliner Compagnie. Anfang März starb Rudolf Stodola im Alter von 73 Jahren.

Herzlichen Dank an Tilo Ballien, Telma Savietto, Elke Schuster und Horst Zimmermann. Auf der Suche danach, was außer Erinnerungen noch geblieben ist, findet man bei youtube nicht nur die »Kaiser- und Küchenlieder« von Ilse Scheer und Rudolf Stodola, sondern seit kurzem auch seine »Chorkantate 1848«.