Klaus Stark kann Fahrradfahrer nicht mehr leiden
Es fängt morgens an. Kaum tritt man aus der Haustür, wird man schon fast von einem Kampfradler umgenietet. Sonnenbrille auf der Nase, Basecap auf dem Kopf, Stöpsel in den Ohren, freches Grinsen im Gesicht. Wer jetzt keine schnelle Ausweichbewegung mehr zur Seite hinkriegt, der hat Pech gehabt
Lange Zeit schlug mein Herz für die Fahrradfahrer. Jetzt weiß ich, dass sie für mich als Fußgänger Feinde sind. In immer größerer Anzahl fluten sie über die Bürgersteige. Sie tun es mit größter Selbstverständlichkeit, mit dem seligen Lächeln dessen, der ein paar Gramm CO2 eingespart und seinen Beitrag zur Rettung der Welt geleistet hat. Wer ihnen nicht ausweicht, ist selber schuld. Ein bedauernswerter Kollateralschaden im Kampf für das Gute und um die Oberhoheit im öffentlichen Raum.
Natürlich ist Radfahren auf dem Trottoir verboten. Kinder bis acht müssen, Kinder zwischen acht und zehn dürfen es benutzen. Erwachsene auch, wenn sie ein Kind unter acht Jahren begleiten. Inlineskater und Tretrollerfahrer. Sonst niemand. Also wirklich niemand. Aber das ist in Kreuzberg egal, wo jeder macht, was er will.
Manchmal hört man noch das leise Knacken der Pedale. Zack – schon wieder kommt einer von hinten an einem vorbeigesaust. Viel zu schnell, viel zu rücksichtslos. Sie drängeln sich durch schmale Baugerüste, rammen fast die Kneipenbestuhlung. Im Gegenverkehr, mit Lastenfahrrad, zu zweit nebeneinander, nachts natürlich ohne Beleuchtung. Obwohl es eine fast leere Straße oder einen breit ausgebauten Radweg gibt. Spielt alles keine Rolle.
Ich glaube nicht, dass sie es nur aus Angst vor den Autos tun. Wo ich mich bewege, gibt es wenig fahrlässig abbiegende Sattelschlepper. Ich vermute, es ist vor allem Bequemlichkeit. Sie merken nicht, dass sie sich gerade so verhalten wie ein Lastwagen, der auf dem Radweg fährt. Dass sie die Gewalt der Autos, unter der sie leiden, einfach an die Fußgänger weitergeben. Und wer mit dem Stock oder dem Rollator geht, ist der Allerschwächste.
Bisher war der Bürgersteig ein geschützter Ort. Hier konnte sich jeder sicher fühlen. Laufen, schlendern, stehenbleiben, plaudern. Alleine, zu zweit, zu dritt. Dieses Gefühl wird jetzt bedroht. Stattdessen ist so etwas wie eine Zerstörung von öffentlichem Raum im Gange. Im zunehmend moralisch aufgeladenen Kampf zwischen Auto und Fahrrad hat der wehrlose Fußgänger keine Lobby und bleibt auf der Strecke.
Irgendwann nimmt man allen Mut zusammen, macht breite Schultern und spricht die Kampfradler an. Ganz vorsichtig: »Entschuldigung … eigentlich ist das kein Radweg!« Die ersten nehmen gar keine Notiz. Dann kommt es doch noch, das böse Wort: »Du Arschloch!«
Michael
In der Hauptstadt der Egomanie gibt es nur eins, „ich zuerst“ und das ist Geschlechtsneutral!