Wolfgang Krolow fotografierte das Kreuzberg der 70er Jahre
Die Fotos lassen einen nicht mehr los. Das müde Gesicht einer alten Frau, das aus dem Fenster einer Jugendstilfassade blickt. Neben ihr blättert der Putz und man erkennt noch Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg. Oder ein riesiger Platz mit Kopfsteinpflaster, darauf sehr allein und verletzlich eine junge Mutter mit ihrem kleinen Sohn.
Viele Punks mit Irokesenfrisur, das war ja die Zeit damals. Und Hausbesetzer natürlich: »Wir sind die Terroristen und grüßen die Touristen. Aber hallo!« steht auf einem Transparent. Davor eine Gruppe Kinder mit Migrationshintergrund, wie man heute sagen würde, die lustig in die Kamera winkt.
Es sind Fotografien aus dem Kreuzberg der 70er und 80er Jahre, sie sind alle in klassischem Schwarz-Weiß und Wolfgang Krolow hat sie gemacht. Die Mauer steht noch, West-Berlin ist eine Insel, und in Kreuzberg treffen links-alternative Lebensentwürfe, die gegen das »Schweinesystem« mobil machen, auf deutsche Rentner und türkische und arabische Immigranten der ersten Generation. Krolow hat diese Welt, die längst nicht mehr existiert, mit scharfem Auge und großem Einfühlungsvermögen porträtiert.
Auf seinen Fotos ist viel Raum für Menschen und ihre Gefühle – für Hoffnung und Trauer, Freude und Einsamkeit. Auf das chaotische, schier unbeherrschbare Leben um ihn herum antwortet der Fotograf mit strengen Formen, harten Kontrasten und einem sorgsam komponierten Bildaufbau. So gelingen ihm wahre Kunstwerke. Da humpelt ein Rentner mit Stock eine Mauer entlang. Krolow fotografiert ihn von hinten im Gegenlicht mit langen Schatten – und im Gegensatz der gebeugten Haltung des Mannes zum regelmäßigen, mitleidslosen Muster der Mauer hinter ihm spiegelt sich ein ganzes Leben. Und eine Welt.
Krolow selbst wurde 1950 im Pfälzer Wald geboren. Wie manch anderer verzichtete er auf Abitur und Bundeswehr und brach stattdessen 1968 in Richtung Indien auf. Nach einer kurzen Episode in Mannheim kam er 1970 nach Berlin, jobbte als Verputzer und Lagerarbeiter und studierte ab 1975 an der Hochschule der Künste Visuelle Kommunikation mit dem Schwerpunkt Fotografie und Grafikdesign.
Zwei Jahre später zog Krolow an den Chamissoplatz und jetzt wurde Kreuzberg zum beherrschenden Thema. Er arbeitete als freier Mitarbeiter für Zeitungen und Verlage. 1979 erschien sein erster Bildband: »Kinder in Kreuzberg«. Es folgten das »Instandbesetzer Bilderbuch«, »Seiltänze« mit Texten von Peter-Paul Zahl, weitere Bildbände und viele Ausstellungen. Später unternahm Krolow Fotoreisen nach Albanien und Wolgograd.
Im Jahr 2005 traf ihn ein Gehirnschlag, seitdem war er auf den Rollstuhl angewiesen. Für die "Kreuzberger Chronik" hat er trotzdem weiter fotografiert. "Seine Arbeiten für die Kreuzberger Chronik in den Jahren 2013 bis 2017", sagt Herausgeber Hans W. Korfmann, "waren meines Wissens die einzigen und letzten Veröffentlichungen, seit er im Rollstuhl saß."
Als im Juli 2019 im Bergmannkiez zehn Autos brannten, schlugen die Flammen an der Außenwand seines Schlafzimmers hoch. Krolow konnte sein Zimmer nicht verlassen. Wären die Fensterscheiben in der Hitze geborsten, hätte er wohl keine Chance gehabt. "Mit Zerstörung und der Gefährdung von Menschenleben kann man die Welt doch nicht verändern“, ließ er sich danach von der BZ zitieren.
Ende September ist Wolfgang Krolow im Alter von 69 Jahren überraschend gestorben. Lothar Eberhardt ist einer von vielen Freunden, die um ihn trauern. »Er war immer zum Schwatz und inhaltsreichen Gespräch aufgelegt«, erinnert er sich. »Sein pralles, mit Schöpfungskraft angereichertes Leben bleibt uns in seiner Bilderwelt erhalten.«
Info: Wolfgang Krolow