Über den Führerschein-Pflichtumtausch und die damit in Berlin verbundenen Schwierigkeiten
Ab und zu bekomme ich Post von der Regierung. Michael Müller schrieb mir persönlich: "Vermeiden Sie Kontakte soweit es möglich ist." Sogar die Bundesregierung hat mir zwei Berechtigungsscheine für Mund-Nasen-Masken geschickt, das fand ich besonders aufmerksam. Musste man allerdings ein paar Euro drauflegen. Aber das hier war etwas anderes, es klang ernster. Vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten. Krieg ich schon Zustände, wenn etwas in der Art auf dem Briefkuvert steht. Es ging um den Führerschein.
Ja, hab ich natürlich irgendwo, so ein graues Papierding, das man ab und zu herauszieht, um Leute mit dem furchtbaren Foto von damals zu erschrecken. Der tut es jetzt nach mehr als 40 Jahren leider nicht mehr, findet das Landesamt. Pflichtumtausch, wegen EU. "Daher müssen Sie Ihren Papier-Führerschein bis zum 19.01.2022 in einen Kartenführerschein umtauschen, wenn Sie weiterhin ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führen wollen." Hört man fast die schnarrende Stimme: "Marsch marsch! Wird's bald? Dalli dalli!" Kostet 25,30 Euro, gilt auch nur 15 Jahre. Aber gut.
Es war Anfang September. Und was sagt das Landesamt? "Wir bitten Sie, bei einem Bürgeramt Ihrer Wahl über die Internetseite https://service.berlin.de/dienstleistung/124556/ oder über das Bürgertelefon 030-115 einen Termin für Ihren Antrag auf Umtausch zu buchen." Was jetzt kommt, kennt jeder Berliner nur allzu gut. Als Kreuzberger hätte ich gern einen Termin beim Bürgeramt 1 in der Yorckstraße. Nö. Gibt es nicht. Im September und Oktober sind alle schon weg und die folgenden Monate sind noch nicht freigegeben. Okay, okay, gucken wir Ausbildungsbürgeramt, Schlesische Straße. Bürgeramt 3, Frankfurter Allee. Vorzugstermine. Alles nüscht. Alles schon belegt.
Selbst "Termin berlinweit suchen und buchen" hilft nicht: In ganz Berlin ist für einen neuen EU-Plastik-Führerschein kein Termin mehr frei. Plötzlich entfaltet sich vor einem die komplette Absurdität dieser Stadt: Sie verlangt eine neue Fahrerlaubnis - und verhindert doch gleichzeitig, dass man eine bekommt. Kafka schwirrt einem durch den Kopf und der chinesische Künstler Ai Weiwei: "Berlin ist eine Stadt ohne Hoffnung. Man kann doch nicht die drittmächtigste Nation der Welt sein, aber eine Hauptstadt wie ein Dritte-Welt-Land haben", klagte er. Die Gedanken schweifen über die Landkarte Afrikas: Burkina Faso, Botswana, Eswatini - überall dort würde man mit Sicherheit einen neuen Führerschein viel schneller erhalten als in Friedrichshain-Kreuzberg!
Aber halt, es existiert ja noch das Bürgertelefon 115. Nun, hier das Protokoll:
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- Herzlich willkommen bei der 115! Haben Sie allgemeine Fragen zur Impfung gegen das Corona-Virus? Haben Sie allgemeine Fragen zu Auskünften und Leistungen der Berliner Verwaltung? Möchten Sie für eine Terminbuchung mit dem Bürgertelefon 115 verbunden werden?
- Jaaaaaaa!
(Pause) - Sie haben das Service-Center in Berlin erreicht. Im Moment sind alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gespräch. Bitte versuchen Sie es später noch einmal! Haben Sie sich schon auf service.berlin.de umgesehen? Dort erhalten Sie Informationen zu den Dienstleistungen der Berliner Verwaltung und können Termine vereinbaren. Vielen Dank und auf Wiederhören!
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Es dauert. Immer neue Anläufe. Tasten drücken, sich das immer und ewig gleiche Geschwurbel anhören, stundenlang. Und dann, plötzlich, ist der Anrufer durch. Denkt er wenigstens für einen kurzen, glücklichen Augenblick:
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- Der nächste freie Mitarbeitende ist gleich für Sie da. Sie befinden sich in der Warteschlange auf Position 85.
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Das ist der gefährliche Moment, in dem der Herzinfarkt naht. Man spürt förmlich, wie der Blutdruck in die Höhe schießt. HimmelHerrgottSakrament, brüllt es in einem, was ist denn das für ein Scheißladen, wo überhaupt nichts funktioniert! Wofür wurden die eingestellt? Was treiben die den ganzen Tag? Wofür zahle ich eigentlich meine Steuern? Wozu sind wir vor mehr als 50 Jahren auf dem Mond gelandet, wenn die hier nicht einmal so eine läppische Telefon-Hotline betreiben können? Undsoweiterundsofort. Kennt man ja zur Genüge.
Erstaunlicherweise winkt oft gerade dann, wenn die Lage aussichtslos scheint, Rettung. Erinnert ein wenig an diese Buden auf dem Rummelplatz, wo man mit drei Bällen sechs Dosen umwerfen soll, was praktisch ausgeschlossen ist, aber dann trägt man doch voller Glück ein Krokodil für das Liebchen nach Hause. So blinkt im rot gefärbten Kalender (Termine vergeben!) immer wieder für eine Hundertstelsekunde etwas Blaues auf (Termin frei!), man klickt wie wahnsinnig herum, regelmäßig hängt sich die Seite auf, aber auf einmal geht überraschend die Sonne auf: Schon morgen, 11.24 Uhr, Umtausch Führerschein auf dem Bürgeramt Zehlendorf! Boah!
Bemerkenswert auch, wie schnell sich der abgrundtiefe Hass danach legt. Morgen ist Bahnstreik, ja gut, der ganze Vormittag geht drauf für die Reise, aber die Dame in Zehlendorf - nette Gegend übrigens: gar kein Müll auf den Bürgersteigen und viel weniger E-Roller - also die Sachbearbeiterin ist ausnehmend freundlich. "Ich weiß auch nicht, warum die alle zu uns kommen: Treptow-Köpenick, Friedrichshain-Kreuzberg ..." Offenbar ist Steglitz-Zehlendorf der einzige Berliner Bezirk, der das ansatzweise auf die Reihe kriegt. Ein paar Wochen später noch einmal hinfahren, Führerschein abholen, den verlängerten Reisepass gleich mit, alles paletti.
Nachtrag: Da das alte Papierding nicht aus Berlin stammt, hatte das Landesamt befohlen (in diesem schnarrenden Tonfall, Sie erinnern sich): "Beantragen Sie selbständig die Karteikartenabschrift bei der Fahrerlaubnisbehörde des Bundeslands, in dem Ihr Führerschein ausgestellt wurde." Ich ahnte Furchtbares. Anruf beim Landratsamt Nürnberger Land, ja, nein, bei der Führerscheinstelle ist Mittwochnachmittag keiner da. Stimmt, in Bayern haben da alle Läden zu. Ich ahnte noch Furchtbareres und schrieb eine Mail. Keine 30 Sekunden später klingelt hier das Telefon. "Ja, hier die Führerscheinstelle, Lauf an der Pegnitz, ich habe eben Ihre Mail gelesen, ja, habe ich schon erledigt und nach Berlin geschickt, das ist kein Problem, wir freuen uns immer, wenn wir helfen können."
Ein Wunder! Es gibt sie! Es gibt tatsachlich eine Welt, wo die Leute auf dem Amt ihre Arbeit tun, der Bürger ohne Verrenkungen seine Geschäfte erledigt bekommt und sich sodann ganz entspannt wichtigeren Dingen widmen kann. Bayern. Was für ein Paradies!