Palästina-Demo weckt Erinnerungen an finstere Zeiten
Auf X (vormals Twitter) kursiert ein eindrückliches Video, wie einige Teilnehmer der Palästina-Demo am 4. November in Berlin gegen 17.20 Uhr an der Ecke Friedrich- / Kronenstraße kurz davor standen, eine Starbucks-Filiale zu stürmen, und unbeteiligte Gäste bedrängten. Der Clip wurde mittlerweile fast zwei Millionen Mal geklickt und entfachte rege Debatten. Hier ein paar bisher unveröffentlichte Fotos dazu und ein Augenzeugenbericht.
•
Laute Sprechchöre, die ganze Zeit über schon. Die Friedrichstraße ist an dieser Stelle ziemlich schmal, es ist dunkel, kaum Platz für normale Fußgänger. Aggressive, emotional aufgeheizte Stimmung. Vor der Starbucks-Filiale an der Ecke zur Kronenstraße noch mehr Gebrüll. Immer wieder: "Shame on you! Boycott Starbucks!" Es wirkt bedrohlich.
Jugendliche mit Palästina-Fahnen promenieren vor den Schaufenstern. Kleben mit heldenhafter Gebärde Palästina-Sticker auf die Scheiben, halten den Gästen drinnen feindselig ihre Handys entgegen, es wird wohl auch fotografiert. Eine Frau mit Kopftuch spuckt hasserfüllt gegen die Außenwand. Nachher kann man dann in der Berliner Zeitung nachlesen, worum es geht: Howard Schultz, der Gründer von Starbucks, ist Jude. Die Geschäftsführung streitet wohl außerdem mit der Gewerkschaft Starbucks Workers United, die sich im Internet mit Palästina solidarisiert hat.
Mittlerweile hat der Mob den Eingang besetzt. Der rechte Flügel der Glastür steht weit offen. Aufgepeitschte Aktivisten drängen sich in die Tür, haben die Füße buchstäblich auf der Schwelle und fuchteln mit ihren Fahnen wild im Inneren herum. Lautes, aufgebrachtes Geschrei. Einige Kunden verlassen verstört mit tief eingezogenen Köpfen und steinernen Gesichtern die Filiale. Ein Spießrutenlauf. Andere versuchen sich hinter ihren Notebooks unsichtbar zu machen. Auch die Mitarbeiter bleiben passiv. Dazu draußen ständig die lauten, bedrohlichen Sprechchöre, viele vermummt und mit gerecktem Zeigefinger: "Shame on you! Shame on you!"
Ein paar Minuten lang steht die Situation auf der Kippe. Dann endlich bemühen sich zwei Ordner zu deeskalieren. Eine beschwichtigende Stimme: "Weitergehen, weitergehen!" Nach einer Weile ist klar: Diese Starbucks-Filiale wird heute nicht gestürmt. Es gehen keine Scheiben zu Bruch, kein Mobiliar, es werden auch keine Menschen verletzt. Warum es noch einmal glimpflich endet, darüber lässt sich hier nur spekulieren. Drinnen wird nicht provoziert, niemand hält eine israelische Flagge hoch. Hätte ja sein können. Draußen fehlt bei all der latenten Wut und Empörung offenbar der letzte, entscheidende Funke, der die Dinge noch weiter ins Rutschen bringt. Glücklicherweise.
Natürlich fragt man sich im Nachhinein, wie sich wohl die Kaffee trinkenden Kunden gefühlt haben mögen - die doch genauso wie die Beschäftigten völlig unschuldig sind. Als Deutscher fragt man sich auch, wie das im November 1938 gewesen ist, in einem jüdischen Gemischtwarenladen, wenn draußen auf der dunklen Straße der Mob tobte und sein "Kauft nicht bei Juden!" an die Scheiben geklebt hat. Und man sollte sich fragen, was so ein Gewaltausbruch noch mit der Versammlungsfreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung zu tun hat.
Polizei war übrigens keine da. Sehr viel später tauchten vier Beamte in türkisgrünen Warnwesten auf und stellten sich in den Eingang. Da war die Demo aber praktisch schon vorbei. Im Polizeibericht hieß es nachher: "Im Bereich der Friedrichstraße auf Höhe einer Filiale einer Kaffeehauskette riefen Versammlungsteilnehmende pro-palästinensische Sprechchöre und riefen dazu auf, das Unternehmen zu boykottieren."