Original Nürnberger Rostbratwürste auf dem Mittenwalder Straßenfest
Die Geschehnisse, die hier zu berichten sind, haben zwei Wurzeln. Einmal entstand natürlich schon im Vorfeld des von mog61 Miteinander ohne Grenzen e.V. ausgerichteten Mittenwalder Straßenfestes - dem ersten nach langer Corona-Pause - eine Debatte über das erwünschte Essensangebot. Schließlich lebt so ein Straßenfest nicht nur von Live-Musik, von Kinderschminken und Lesezelt, sondern auch von Bier und Wurst. Wobei die Wurst in Kreuzberg bekanntlich einen schweren Stand hat: Zahlreiche Einheimische ernähren sich vegan oder zumindest vegetarisch und wenn sie ab und zu einem Bissen Fleisch doch nicht widerstehen können, ist es mit Sicherheit Lamm oder Rind und auf keinen Fall Schweinefleisch. "Iiiiihhh, iiiiihhhh, Schwein!" Man hört es bei solchen Gelegenheiten regelmäßig.
Da so ein Grill aber schon sein muss, lautet die übliche Palette: Merguez, Geflügel- und vegetarische Bratwurst. Allerdings waren die Erfahrungen mit letzterer bei der Fête de la Musique im Sommer nicht eben ermutigend gewesen: blasse, gummiartige Quader, die am Rost kleben bleiben, gerne in der Mitte auseinanderbrechen, nach gar nichts schmecken und die, ehrlich gesagt, kaum jemand essen wollte. Versteht man auch nicht: Wenn schon vegetarisch, warum nicht gleich Kraut und Rüben, warum muss es dann unbedingt eine Wurst, also das Gegenteil sein? Wie gesagt, es entstanden Debatten. Dabei ging es unter anderem auch um Vielfalt und Diversität und am Ende lautete das Ergebnis: Okay, okay, neben Merguez und Geflügel- landen dieses Jahr eben auch Bratwürste aus Schweinefleisch auf dem Grill.
Die zweite Wurzel ist biographischer Natur. Ein Mitglied des Straßenfest-Organisationskomitees hatte seine Jugend im fränkischen Nürnberg verbracht. Er erinnerte sich an Zeiten, als eine Stadt noch nicht wie die andere aussah, als es statt der immergleichen Fotos von Google Street View noch regionale Besonderheiten zum Anfassen und Schmecken gab. Man muss Bratwürste nicht mögen, dachte er, aber wenn man welche mag, dann weiß man genau: Abgesehen von den scharfen Merguez sind Nürnberger Rostbratwürste die besten Bratwürste auf der ganzen Welt. Diese kleinen, kurzen mit viel Gewürzen, traditionell drei im Brötchen oder mit Sauerkraut. Thüringer, Verzeihung, versuchen sie nur erfolglos zu imitieren und Berlin, nun ja, ist ohnehin an die pralle, geschmacklose Currywurst verloren.
Er erinnerte sich, wie er als Junge auf dem "Christkindlesmarkt" - als es noch nirgendwo sonst Weihnachtsmärkte gab - bei Eiseskälte und hohem Schnee in die heißen Würstchen biss. An den Geschmack von Senf, Fleisch und Majoran. Sofort war ihm klar, dass die Art von Bratwürsten, die er im Sinn hatte, in Berlin nirgends zu bekommen ist. Gewiss, da sind ein paar Metzgereien, bei der einen Supermarktkette schmecken "Nürnberger" ein bisschen besser als anderswo, aber schließlich herrschen bei mog61 auch gewisse Maßstäbe! Bereits im April stand daher fest: Rechtzeitig vor dem Straßenfest am 2. September würde ein Abgesandter des Vereins nach Nürnberg fahren und dort, direkt an der Quelle, 500 original Nürnberger Rostbratwürste besorgen müssen.
Zuvor war einiges zu bedenken. Hitlisten im Internet wurden studiert, wo die traditionelle Fränkische oder eben Nürnberger Bratwurst am besten schmeckt. In der Nürnberger Innenstadt existieren reichlich einschlägige Lokale, die aber wohl eher als Touristenfallen durchgehen. Schließlich wurde die Metzgerei Pfettner in der Ludwig-Feuerbach-Straße am Rande der Altstadt ausgewählt. Ein Familienbetrieb, der bis auf das Jahr 1928 zurückgeht. Sehr angenehme, freundliche Verhandlungen. Dann, ein absolutes Muss, die Kühlkette, die nicht unterbrochen werden durfte. Übliche Kühlbehälter arbeiten mit Stromversorgung, das Auto schied jedoch aus Klimaschutzgründen aus. Blieben nur der ICE mit zwei umfänglichen Kühltaschen und jeder Menge gefrorener Kühlakkus, noch einmal zusätzliches Eis vor Ort, Gesamtgewicht rund 18 Kilo, allein die Würste wogen zwölf Kilogramm.
Was noch zu berichten ist? Dank der vielen Tunnels in Thüringen braucht der ICE von Berlin Hauptbahnhof bis Nürnberg nur knapp drei Stunden. Mit Super-Sparpreis, Rentnerbonus und Bahncard hin und zurück keine 70 Euro, das ist praktisch geschenkt. Ausnahmsweise hatten die Züge auch kaum Verspätung, nur hinwärts war die Wagenreihenfolge umgekehrt und rückwärts funktionierte die Reservierung nicht. Und ja, Nürnberg ist eine stolze Stadt, der außer den bösen Jahren des Nationalsozialismus und einem ordinären Dialekt wenig vorzuwerfen ist. Ein schmaler Fluss mit hübschen Brücken, kleine Plätze mit Brunnen, zwei gotische Kirchen, die anderswo wohl als Dom oder Kathedrale gelten würden. Hier brachte Albrecht Dürer die große italienische Malerei nach Deutschland, als in Preußen noch nicht einmal die ersten Sümpfe trockengelegt waren.
Und die Bratwürste? Wahre Leckerbissen. Ein wunderbarer Höhepunkt des Straßenfestes von mog61 e.V., zusammen mit der Zentralkapelle Berlin e.V., dem äthiopischen Essen und der Freiwilligen Feuerwehr.