Klaus Stark wartet um Mitternacht am Kreuzberger Landwehrkanal auf die MS »Rudolf Kloos«
Tagsüber war es heiß und auch jetzt hat es noch mehr als 20 Grad. Straßenlaternen malen orange-gelbe Streifen auf das tintenschwarze Wasser. Ein Flaschensammler scheppert aufdringlich mit seinem Einkaufswagen, irgendwo dunkle Bässe einer Coronaparty. Rechts kauert ein Pärchen. »Also weißt du, ich meine ja nur, manchmal denke ich …«, sagt sie. Er: »Ich verstehe dich schon.« Schweigen.
Kurz vor Mitternacht am Kreuzberger Urbanhafen. Wir warten auf ein Schiff. Ein ganz besonderes Schiff, wie Derk Ehlert von der Senatsverwaltung für Umwelt versichert hat. Es heißt »Rudolf Kloos« und es ist ein Belüftungsschiff.
Um zu verstehen, was es so treibt, muss man ein wenig über Hydrologie reden. Im Vergleich zu Flüssen wie Elbe oder Rhein fließen die Berliner Gewässer sehr langsam. Dies gilt besonders für die Kanäle, wo das Wasser praktisch steht.
So steigt im Sommer die Temperatur im Landwehrkanal schon mal auf 26 Grad. Dann ist der Sauerstoff im Wasser ziemlich knapp. »Wenn dann noch ein Starkregen viel organische Substanz von den Straßen ins Wasser spült, brauchen die Bakterien, die das zersetzen, noch mehr Sauerstoff und da kann es sein, dass es zu wenig für die Fische gibt«, resümiert Fachmann Ehlert.
Damit Plötze, Blei, Zander, Hecht und Aal nicht sterben und das Ökosystem komplett aus den Fugen gerät, ist die »Rudolf Kloos« unterwegs und bläst Sauerstoff in die schmutzige Brühe. Von Mai bis September, montags bis freitags, bei Bedarf sogar jede Nacht. Gegen 22 Uhr legt sie im Oberhafen Neukölln ab, dreht ihre Runde durch den Neuköllner Schifffahrtskanal und den Landwehrkanal und ist dann bis 4 Uhr morgens wieder zurück.
Berlin ist die einzige Stadt mit einem Belüftungsschiff. Es wurde für 1,7 Millionen Euro entwickelt, ist seit 1995 im Einsatz und kostet jährlich rund 500 000 Euro. Am Bug nehmen sechs Pumpen Wasser auf, reichern es mit Flüssigsauerstoff an – pro Nacht mit bis zu 1600 Litern – und blasen es am Heck wieder in den Kanal. Nachts auch deshalb, weil da ein Fahrverbot gilt und nichts anderes entgegenkommen kann.
Leider darf niemand mitfahren. Ehlert hat es einmal geschafft: »Da sind viele Maschinen, es ist wenig Platz, man kriegt gar nicht so viel mit. Am tollsten sind die vielen Bläschen im Wasser, die das Schiff hinterlässt.« Und natürlich die Biber am Ufer, die Wasservögel und die vielen Fledermäuse unter den Brückenbogen.
Jetzt wissen wir eigentlich alles. Und prompt kommt das seltsame Schiff. Ein heller Scheinwerfer, grünes und rotes Licht. Ganz langsam und breit gleitet es heran: überraschend rechteckig der Bug. Tanks, Sauerstoffflaschen, Rettungsboot, gedämpftes Maschinengeräusch. Und wie versprochen lustige Luftbläschen am Heck!
Gleich hat das Schiff die Baerwaldbrücke passiert. Wie eine Erscheinung verschwindet es allmählich in der dunklen Nacht. Ein einsamer Fahrradfahrer, Polizei tutet über die Brücke. In der Luft hängt noch ein leichter Geruch nach Kanalisation.