Vor allem die Ungewissheit nervt

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Der bevorstehende EU-Austritt Großbritanniens stellt im Kiez viele vor große Probleme

Dale Carr wird ihr Geschäft »Broken English« Ende Mai nach mehr als zwei Jahrzehnten schließen. Schuld ist der Brexit. Foto: ks

Gleich am Eingang duften »Wright’s Traditional Soap« und »Johnson’s Baby Powder«. Ein paar Schritte weiter locken Schokoriegel der Marken »Boost«, »Wispa«, »Crunchie« und »Picnic«. Und natürlich jede Menge »Orange Marmalade with Whisky« oder »Raspberry Seedless« von Wilkin & Sons und Mackays. Jedem Liebhaber britischer Kultur und Lebensart geht spätestens jetzt das Herz auf.

Das alles kriegt man bei »Broken English« in der Körtestraße. Aber nicht mehr lange: Denn Ende Mai macht Dale Carr ihren Spezialitäten- und Geschenkeladen zu. Die Frau aus Sheffield lebt seit 40 Jahren in Berlin, 1996 eröffnete sie das Geschäft. Aber jetzt haben sie und Ehemann Robin genug. Es liegt am Brexit.

»Wir sind alt genug. Es ist der richtige Zeitpunkt, dass man den Laden schließt und in Rente geht«, sagt sie. Vor allem fühlt sie sich von der mit dem Brexit verbundenen Unsicherheit bedroht. Welche Vorschriften gelten künftig? Wie läuft das mit der Mehrwertsteuer? Mit dem Zoll? »Das ist nicht geregelt. Niemand weiß, was passieren wird. Die britische Regierung hat nicht genug Zeit, die Bürokratie zu erledigen.«

Der Union Jack als Teil einer Subkultur bei »Plaste+Elaste«. Foto: ks

Dale Carr ist nicht die einzige, die der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der EU vor Probleme stellt. Auf der Bergmannstraße fällt ein Fahrradständer mit dem Union Jack auf. »Plaste+Elaste« führt Wave Gothic und Fetish Wear aus England. Inhaber Jan-Eric Zachrau hofft, dass die Briten noch »auf den letzten Drücker umschwenken. Die wollen von der Mentalität her halt immer eine Extrawurst.« Aber auch bei einem Brexit würde er zu seinen britischen Freunden halten. Nicht einmal teurer müssten die Klamotten werden: »Das Pfund ist sowieso schon günstig.«

Viele Briten folgten ihrem deutschen Freund oder der deutschen Freundin nach Berlin, andere habe hier ein Start-up gegründet oder leben seit langem als Rentner hier. Sie alle bangen um Mietverträge, um ihr Aufenthaltsrecht oder um ihre Krankenversicherung. Geht es nach dem Willen von Theresa May, dürfen sie nach dem 30. März in Deutschland nicht einmal mehr Auto fahren, weil dann ihr Führerschein ungültig wird. Oder sie müssen sich einfach nur von den geliebten englischen Crackern trennen, die sie sich bisher aus dem »Broken English« besorgen.

Englischsprachige Literatur bei »Another Country« in der Riemannstraße. Foto: ks

Weil Noch-Betreiberin Dale Carr schon länger als 15 Jahre in Deutschland lebt, durfte sie selbst am Referendum über den EU-Austritt nicht teilnehmen. Seither ist sie nicht mehr in ihrem Heimatland gewesen. »Ich kann nicht zurückgehen«, sagt sie. Stattdessen besitzen sie und ihr Mann nun die deutsche Staatsbürgerschaft. »Ich werde den Tag nie vergessen, an dem wir sie bekommen haben. Im Rathaus Neukölln. Es fiel so eine Last von meinen Schultern!«

Das britische Spezialitätengeschäft in der Körtestraße wird vielleicht sogar eine Nachfolgerin übernehmen. Früher hat Dale Carr sich nicht für Politik und die EU interessiert. Jetzt denkt sie täglich daran. »Wir leben in interessanten Zeiten«, sagt sie. »Und in gefährlichen Zeiten.«