Bürgergenossenschaft will den Südstern nicht abstürzen lassen
"Na dann hol ich dir mal einen Stuhl", sagt Harald freundlich. Mitten in der anonymen Großstadt ist das schon mal ein Angebot. Und wenn man als alter weißer Sack dann noch mit "junger Mann" begrüßt wird, ist das Eis so gut wie gebrochen. Später Nachmittag, es wird früh dunkel jetzt. Fünf, sechs ältere Herrschaften sitzen im lockeren Halbkreis um einen Bauwagen herum und plaudern. Willkommen bei der Bürgergenossenschaft Südstern e.V.
In einer Dose werden Schokokekse gereicht, ein Tablett mit Kaffee to go. "Viele von uns wohnen allein", berichtet Harald. Da sind Gespräche um so wichtiger, Kontakte, manchmal auch Unterstützung. Daniela hat Hilfe beim Zusammenbau eines Rollators bekommen. Eine andere Frau wurde zum Arztbesuch begleitet und danach wieder abgeholt. "Das war eine ganz tolle Erfahrung", erklärt sie.
Aber es geht nicht nur um Nachbarschaft, sondern auch um Projekte. "Wir wollen den Südstern nicht nach unten kippen lassen", sagt Harald. Seit April 2019 dient das "Tiny House" (vulgo: Bauwagen) als Treffpunkt und Anlaufstelle. Nachdem das Tiefbauamt einen Weg durch das verwahrloste Straßenbegleitgrün pflasterte, ist daraus "Grünstern" geworden, ein "Pflanzenexperimentierfeld" mit, unter anderem, Pfirsich-, Kirsch-, Apfel- und Pflaumenbäumchen. Jetzt gibt es auch noch ein "Lesekiosk", wo man gebrauchte Bücher einstellen, mitnehmen oder sich einfach nur hinsetzen und blättern kann. Erst stand da eine alte Telefonzelle, aber das kostete Miete, also hat der Verein selbst ein Häuschen gebaut. "Da schauen pro Tag 50 Leute vorbei", heißt es in der Runde "Ach was, es sind mindestens 150", korrigiert Christian.
Anwohner klagen am Südstern zunehmend über Vermüllung und Belästigungen durch die wachsende Drogenszene. Wenn die Bürgergenossenschaft Müll einsammelt, kommt ein ganzer Eimer mit gebrauchten Spritzen zusammen. Da sind Tiny House, Grünstern und Lesekiosk deutliche Zeichen, dass der öffentliche Raum nicht aufgegeben wird, dass jemand da ist, der Verantwortung übernimmt und der sich kümmert. Dabei wohnen gar nicht alle Mitglieder vor Ort, sondern am Mehringplatz, im Chamissokiez oder am Fraenkelufer.
Natürlich ist Corona ein Riesen-Problem für den Verein. Das gemeinsame Kochen am Mehringplatz mit dem Gemüse-Schnibbeln entfällt, neue Formate müssen gefunden werden. "Man kann auch den sozialen Tod sterben", meint Harald dazu. So sitzen Freitagnachmittag ein paar Menschen eher zufällig in der Kälte zusammen, selbstverständlich mit Abstand. Die Woche zuvor sogar mit einer großen Feuerschale. Da kam ein junger Mann ohne Beine im Rollstuhl vorbei, starrte erst eine Weile zurückhaltend in die Flammen, aber dann wurde es doch eine "Begegnung auf Augenhöhe". Darüber freuen sich alle heute noch.
Kontakt: Bürgergenossenschaft Südstern