Geheimnisvoll schimmert das magische Auge

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Klaus Stark unternimmt mit dem Kreuzberger Rundfunk- und Fernsehtechnikermeister Horst Dieter Schmahl eine Reise in die Vergangenheit

Horst Dieter und Karin Schmahl. Im Hintergrund drei der berühmten „Philettas“ von Philips; in der Hand von Frau Schmahl ein kleines Philips-Transistorradio aus den 60er Jahren. Foto: ks

Gleich vorne am Eingang sind die Prunkstücke versammelt. Ein wunderbarer Saba Freudenstadt 8 von 1956/58 – damals fast unerschwinglich. Das edle Gehäuse in dunklem Nussbaum, die handgemachten Tasten erinnern eher an eine Klaviatur, der Lautsprecherstoff ist mit Seidenfäden durchsetzt. Das Modell von Philips direkt daneben besitzt sogar drei Klangregler für Jazz, Orchester und Sprache – je nachdem, welche Taste gedrückt wird, leuchten die entsprechenden hübschen Symbole auf.

Aber die alten Röhrenradios sind nicht nur optisch, sondern auch technisch beeindruckend. Wenn Horst Dieter Schmahl auf den Einschaltknopf drückt, dauert es erst eine Weile. Gemächlich knacken die Röhren – aber dann wird das runde magische Auge über der Skala plötzlich lebendig und fängt in geheimnisvollen Grüntönen zu schimmern an. Aus den Lautsprechern prasseln und pfeifen die Störgeräusche der Mittelwelle.

Auf 750 Kilohertz nahm 1923 unweit des Potsdamer Platzes der erste deutsche Rundfunksender seinen Betrieb auf. Heute sind die meisten Frequenzen tot. Beromünster aus der Schweiz abgeschaltet, Limoges und Nancy aus Frankreich verschwunden, Radio Luxemburg nicht mehr da. In Deutschland schweigen alle öffentlich-rechtlichen Mittelwellensender seit Ende 2015. Aus Kostengründen, wie es hieß. Die Digitalisierung macht keine Gefangenen. »UKW bleibt uns ja hoffentlich bis 2028 erhalten«, sagt Schmahl. »Gegen den Willen der Regierung.«

Viel mehr als nur ein normales Geschäft

Horst Dieter Schmahl und seine Frau Karin betreiben in der Zossener Straße 2 einen Laden namens »Radio-Art«. Zunächst denkt man wenigstens, es sei ein ganz normales Geschäft. Aber nach einer Weile stellt sich heraus, dass es eher ein Museum ist und vielleicht sogar noch viel mehr, nämlich eine Art Terminal für Reisen in die Vergangenheit.

Magisches Auge und Skala eines Imperial 60WK der Stassfurter LIcht- und Kraftwerke AG von 1939/40 mit vielen längst nicht mehr existierenden Sendern. Foto: ks

Schmahl ist Rundfunk- und Fernsehtechnikermeister. Seine ersten beiden Läden hatte er in Neukölln, in der Sonnenallee. In dem einen verkaufte Ehefrau Karin Schallplatten, in dem anderen befand sich die

Werkstatt mit drei Mitarbeitern. »Aber nach der Wende war der Handel für so ein kleines Geschäft nicht mehr möglich. Große Firmen kamen hierher.« Allerdings wollten immer mehr Kunden alte Geräte repariert bekommen. Der Fachmann witterte eine Nische im zunehmend von Billigprodukten überfluteten Markt.

Im Jahr 1996 hat er in Kreuzberg neu angefangen: »Seitdem läuft das, kann man sagen.« Zuerst verkaufte Schmahl vor allem Röhrenradios oder Fernseher in alten, vom Kunsttischler restaurierten Gehäusen. Inzwischen geht es meistens um Reparaturen. Häufig bringen Kunden Erbstücke vorbei, die der Meister in stundenlanger Kleinarbeit wieder zum Klingen bringt. Besitzen die alten Röhrenradios einen Plattenspieler-Ausgang, kann man daran sogar einen CD-Player oder ein iPhone anschließen.

Die restaurierten Schmuckstücke wandern in alle Welt. Ein Telefunken-Gerät von 1950 landete in Japan, eine Gruppe aus Mexiko erstand einen Volksempfänger und auch nach New York war schon ein 20 Kilo schweres Paket unterwegs. Requisiteure von Film und Theater schauen ebenfalls vorbei.

Statussymbole der Väter, Großväter, Urgroßväter

Ein ausgesprochenes Prunkstück für jedes Wirtschaftswunder-Wohnzimmer: Saba Freudenstadt 8, 1956-58. Foto: ks

Der Rundfunktechniker lobt die hohe Qualität der oft sehr aufwändig gebauten Geräte: »Der Klang der Röhre in einem Holzgehäuse hat für das Ohr genau die gleiche Hörfrequenz wie die menschliche Stimme.« Mit der sich in den 70er Jahren durchsetzenden Transistortechnik kann er wenig anfangen. Noch weniger mit der digitalen CD: »Das ist wie ein Essen aus einer Chrom-Edelstahlküche: Es fehlt das Verbrannte!«

An der Wand hängen Werbeplakate aus den 50er Jahren, auf dem Plattenteller liegen Scheiben von Tommy Dorsey und Howard Carpendale. Um sie herum die Statussymbole der Väter, Großväter, Urgroßväter aus der Wirtschaftswunderzeit, die hier ein Zuhause gefunden haben – damals genauso geliebt, begehrt und vielleicht sogar mit mehr Hingabe und Sachverstand angefertigt als die heutigen Tablets und Smartphones.

Und plötzlich wird die Geschichte lebendig: Aus diesem Volksempfänger tönte wohl einmal die sich überschlagende Stimme von Joseph Goebbels. Aus jenem Telefunken-Radio im Kalten Krieg live die Botschaft von John F. Kennedy: »Ich bin ein Berliner!«

Natürlich werden auch persönliche Erinnerungen wach. An die goldene Philetta, die in den 60er Jahren erstmals die »Schlager der Woche« mit Beatles und Rolling Stones ins Kinderzimmer brachte. Und an den Grundig Satellit-Weltempfänger im Elternschlafzimmer mit der geheimnisvoll leuchtenden Kurzwellenskala, Radio Schweden, Radio Peking und Radio Canada International. Aber das war dann schon eine ganz andere, neue Zeit.

Galerie: Museum der alten Röhrenradios