Hundert Jahre Kohle

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Dirk Kögler ist Brennstoffhändler in der vierten Generation

Kohlehändler Dirk Kögler vor seinem Geschäft in der Körtestraße. Foto: ks

Kohle. Es geht um die Kohle. Wenn im Winter ein überraschender Windstoß um die Hausecke fegt, bekommt man ab und zu noch ein paar Schwaden ab: Braunkohle. Der typische Gestank, der Rauch beißt in Nase und Hals. Riecht nach Osten. Riecht nach Vergangenheit. Erinnerungen werden wach: Bahnhof Friedrichstraße, Zwangsumtausch, in den Restaurants Schlangen, an den Häusern noch die Einschusslöcher aus dem Weltkrieg, ja, und eben der Gestank. Lange konnte man die beiden Hälften Berlins am Geruch unterscheiden. Im Osten war die schwefelhaltige mitteldeutsche Braunkohle bis zur Wende erlaubt. Heute stinkt kaum mehr was.

Duftet, würde Dirk Kögler wahrscheinlich sagen. Er ist Kohlehändler in der vierten Generation. Mitte der achtziger Jahre hatte sich das Aus für die Kohle zwar schon angedeutet. Aber dann kam überraschend die Wende und Kögler, der eigentlich Lkw-Schlosser werden wollte, dachte sich: "Vielleicht schaffe ich es damit ja auch noch bis zur Rente!" Heute ist er 54 Jahre alt und sagt: "Ich hab's ja immer gern gemacht!"

An Nachfrage mangelt es nicht. Draußen, vor seinem Souterrainladen in der Körtestraße, wuchtet gerade ein älterer Herr einen Sack Anmachholz aufs Fahrrad. Eigentlich heizt er mit Gas, gleich um die Ecke, aber die Freundin mag eben die Wärme des Kohleofens viel lieber. Und der Eigentümer hat ihn ohnehin schon vor Jahren ermahnt: "Mach mir nicht die Öfen raus! Denk an den Krieg, man weiß nie, was kommt!" Ein überaus weiser Ratschlag.

Eher ist das Angebot knapp. Das Feuerholz stammt aus dem Grunewald: Buche, Birke, Erle, Kiefer. Der Rest kommt aus Sachsen. Die Kohle, das sind hauptsächlich Braunkohlebriketts aus der Lausitz. Schwarze Pumpe. Eine dreiviertel bis zu einer ganzen Tonne braucht man davon pro Ofen, wenn man im Winter richtig heizen will. "Früher haben die Leute im Juni eingekellert", berichtet der Händler. "Jetzt rufen sie einfach an und wollen bestellen. Im Herbst war hier Panik. Wochenlang standen sie draußen, die Schlange ging bis zum Nachbarhaus. Ich hab den Anrufbeantworter gar nicht mehr abgehört. Hiermit bestelle ich drei Tonnen Bündelbriketts, hieß es da ständig. Geht gar nicht!" Aber seine Stammkunden hat er natürlich alle beliefert.

Das Ausliefern von Kohle ist ein absoluter Knochenjob. Über 50 Kilo lächelt Kögler nur, aber 75 Kilo Briketts auf dem Buckel zusammen mit 8 Kilo Kastengewicht waren früher schon eine Hausnummer. "Das ist das Schwerste, was es gibt", sagt er. "Wenn du das ein paar Jahre gemacht hast, dann kann dich nichts mehr erschrecken. Alles andere ist harmlos!" Bis vor zwei Jahren fuhr er persönlich aus, dann ist Vater Richard gestorben und jetzt sitzt er selbst als Chef hinter dem Schreibtisch. Links ein altes Röhrenradio, an der Wand ein Plattencover von Frank Zander, auf dem Köglers weinroter, museumsreifer Mercedes-Benz abgebildet ist. Und jede Menge Familienfotos.

Urgroßvater Carl Kögler (links) mit Austräger Albert vor der Nostitzstraße 20. Foto: privat

Schon Urgroßvater Carl hat mit Kohlen gehandelt, seit 1908. "Die ganze Familie hat in Kohlen gemacht, in der Nostitzstraße, der Körte, der Hasenheide, der Urbanstraße, das war eine richtige Mafia!" Moment, das Telefon läutet. "Kohlehandlung Kögler, guten Tag! Was brauchen Sie denn da? Bündel oder lose? Aber jetzt bitte nicht umfallen: Macht 620 Euro! Ja, ja, frei Keller, wie wir so sagen!" Okay, wo waren wir gewesen? Dieses Foto? Es zeigt den Urgroßvater, irgendwann in den 20er Jahren, mit Austräger Albert auf dem Pferdefuhrwerk vor der Nostitzstraße 20. Dirk Kögler selbst ist dort aufgewachsen, zweiter Stock, direkt gegenüber der Riemann, allein in dieser einen Straße, erinnert er sich, gab es früher vier Brennstoffhändler. "Da standen unsere Pferde auf dem Hof, in den 30er Jahren hat sich die Familie einen Trecker gekauft."

Inzwischen ist in Berlin gerade noch eine Handvoll "Kohlefritzen", wie Kögler sagt, übrig geblieben, dazu Tankstellen und Baumärkte. Er ist einer der letzten. Im Sommerhalbjahr trägt der Job nicht, da hat er erst beim Abriss ausgeholfen, seit mehr als zehn Jahren fährt er bei einem Pflanzengroßhandel aus. Im Winter sitzt er in seinem Souterrainbüro am Telefon und wenn es wieder einmal ohne Unterlass bimmelt, denkt er: "Oh je, haben sie wieder Panik verbreitet und die Leute irre gemacht!" An so einem Abend schlug der Autor einmal bei Dirk Kögler auf und bat um ein bisschen Feuerholz für den gemeinnützigen Verein mog61, der am Südstern freitags warmes Essen an Obdachlose austeilt. Ohne zu zögern hat er das Holz spendiert. Danke schön!