Schwieriges Gedenken an die Reichspogromnacht
In den Blättern der alten Platanen rauscht der Wind. Die grauen Wolken verteilen Nieselregen, auf der Kottbusser Brücke der geschäftige Autoverkehr. Im Landwehrkanal ziehen weiße Schwäne mürrisch ihre Bahnen. Ein paar Polizisten und zwei quergestellte Streifenwagen genügen, um die Versammlung abzuschirmen. Noch ist die Zivilgesellschaft hier in Kreuzberg stabil genug, denkt man, damit an diesem Tag fahnenschwingende Hamas-Sympathisanten oder Glatzen mit Hitlergruß keine Chance haben.
Stilles Gedenken an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 vor der jüdischen Synagoge am Fraenkelufer. Anderswo werden sie abgerissen. Hier hängen sie noch, die Plakate mit den Fotos der rund 240 Geiseln, die von der Terrororganisation Hamas seit 7. Oktober widerrechtlich im Gazastreifen festgehalten werden. Dazu Blumen und brennende Kerzen. Viel Schweigen, gedrückte Stimmung, schwere Gesichter. Dazwischen bunte Regenschirme.
Ein paar Promis sind da, plaudern und nutzen die Gelegenheit zum Netzwerken. Andere kommen in schwarzem Mantel und schwarzer Krawatte. Traurige Klänge aus einem Saxofon. Nina Peretz von der Synagoge berichtet kurz von der Angst, in der Juden auch in Berlin und in Kreuzberg - wieder - seit dem 7. Oktober schweben. Dass sich viele seither nirgends mehr sicher fühlen. Man hätte sich wohl gewünscht, dass es danach beim Schweigen bleibt, bei Trauer und bei der Erinnerung. Aber natürlich ist es auch wichtig, dass die Lokalpolitik Gesicht zeigt. Bürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) hatte sichtlich Mühe, die richtigen Worte zu finden. "In diesen schlimmen Zeiten gibt es Antisemitismus aus verschiedenen Richtungen", sagt sie schließlich.
Später nieselt es immer noch, die Luft ist feucht, der Wind rauscht in den Platanen, die aussehen wie Ahornbäume, ab und zu schaukelt ein Blatt zu Boden und auf dem Landwehrkanal die mürrischen Schwäne. Langsam senkt sich die Dämmerung. Natürlich hatte Herrmann auch das Wort gesagt, das jetzt alle sagen: "Nie wieder ist jetzt!" Wie wenig Gewicht das hat, wurde schon ein paar Tage später deutlich. Da war Palästinenser-Demo, ein junger Mann hält auf dem Balkon die israelische Fahne hoch, gleich darauf poltert der Mob aufgebracht und bedrohlich gegen die Tür. Haben wir davon nicht gelesen? Harte Stiefeltritte im Treppenhaus: "Aufmachen! Wird's bald?"
Nicht in Neukölln in der Sonnenallee oder am Brandenburger Tor. Mitten in Kreuzberg, in meiner Nachbarstraße. Sie sind nicht irgendwo, sie sind hier.