Kreuzberg hat gewählt

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Ein großer Triumph für Canan Bayram

Canan Bayram erkämpft das Direktmandat. Foto: ks

Sechs Kreuze konnte man am Wahlsonntag machen - wenn denn genügend und vor allem die richtigen Stimmzettel zur Verfügung standen. Der Bundestag wurde gewählt, das Berliner Abgeordnetenhaus, die BVV Friedrichshain-Kreuzberg und den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co enteignen" gab es auch noch. Das bedeutet eine ganze, ganze Menge Zahlen.

Beginnen wir mit dem Deutschen Bundestag. Hier konnte Canan Bayram (Grüne) im Wahlkreis 83 Friedrichshain-Kreuzberg / Prenzlauer Berg Ost wahre Triumphe feiern. Sie gewann das Direktmandat mit 37,8 Prozent und fuhr auch 36,7 Prozent der Zweitstimmen ein. Wie jeder Kreuzberger weiß, ist Bayram - ebenso wie früher Hans-Christian Ströbele - nicht via Liste abgesichert, deshalb geht es hier jedesmal um alles oder nichts. Vor vier Jahren hatte sie mit 26,3 Prozent nur knapp vor Pascal Meiser (Linke) mit 24,9 Prozent gewonnen. Dieses Mal schrumpfte Meiser auf 17,7 Prozent zusammen und auch Konkurrentin Cansel Kiziltepe (SPD) schaffte lediglich 17,4 Prozent der Erststimmen. Die CDU mit 7,7 Prozent spielte überhaupt keine Rolle mehr.

Via Landesliste gelangten Meiser und Kiziltepe ebenfalls in den Bundestag - so dass Kreuzberg dort auch künftig mit drei Abgeordneten vertreten ist. Pascal Meiser hatte dabei das Glück, dass die Linke mit 4,9 Prozent eigentlich an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, wegen der drei von Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann errungenen Direktmandate aber trotzdem 39 Abgeordnete entsenden darf. Bayram ist auch nicht mehr die einzige Berliner Grüne mit einem Direktmandat: Stefan Gelbhaar aus Pankow und Hanna Steinmüller aus Mitte taten es ihr in diesem Jahr gleich. Ströbele hatte sein bestes Ergebnis 2009 mit legendären 46,7 Prozent der Erststimmen eingefahren - da ist also noch ein bisschen Luft nach oben.

Der Bezirk gehört den Grünen

Die Gemengelage im Berliner Abgeordnetenhaus wurde bereits unter "Wahl im Überblick" analysiert. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg jedenfalls gehört fast komplett den Grünen - mit klitzekleinen dunkelroten und hellroten Einsprengseln.

  • Wahlkreis 1 (Askanischer Platz, Mehringplatz westlich Lindenstraße/Axel-Springer-Straße, Gleisdreieck, Rathaus Yorckstraße, Urbanstraße westlich Zossener Straße, Viktoriapark, Chamissokiez): Katrin Schmidberger (Grüne) gewinnt mit 41,3 Prozent überzeugend das Direktmandat und zieht damit ins Abgeordnetenhaus ein. Hannah Sophie Lupper (SPD) gelingt mit 18,6 Prozent (Erststimmen) gegenüber Gaby Gottwald (Linke; 16,3 Prozent) ein schöner Achtungserfolg, wobei die Linke bei den Zweitstimmen interessanterweise besser liegt.
  • Wahlkreis 2 (Wassertorplatz, Graefekiez, Reichenberger Straße, Wrangelkiez) geht an Marianne Burkert-Eulitz (Grüne) mit 38,5 Prozent, gefolgt von Elif Eralp (Linke) mit 27,8 Prozent der Erststimmen.
    Einer der Gewinner: Dr. Turgut Altug. Foto: Die Grünen
  • Wahlkreis 3 (Mehringplatz östlich Lindenstraße/Axel-Springer-Straße, Moritzplatz, Oranienplatz, Lausitzer Platz, Urbanstraße östlich Zossener Straße): Hier gewinnt Dr. Turgut Altug (Grüne) mit 35,1 Prozent der Erststimmen. Deutlich dahinter liegen Ali Reza Amiri (Linke) mit 20,2 Prozent und Sevim Aydin (SPD) mit 20,1 Prozent.
  • Wahlkreis 4 Friedrichshain-West bringt eine Überraschung: Damiano Valgolio (Linke; 24,7 Prozent) verweist dort die Kreuzberger Ex-Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne; 23,8 Prozent) auf den zweiten Platz. Da sie auf der Grünen-Landesliste nur unzureichend abgesichert ist, wird Herrmann dem neuen Abgeordnetenhaus nicht angehören. Viola Mattathil-Reuther (SPD) schafft immerhin noch 21,1 Prozent der Erststimmen.
  • Wahlkreis 5 gleich Friedrichshain-Nordost geht an Vasili Franco (Grüne) mit 34,3 Prozent vor Steffen Zillich (Linke) mit 24,7 Prozent der Erststimmen und
  • Wahlkreis 6 Friedrichshain-Süd an den aus der BVV gut bekannten Julian Schwarze (Grüne) mit beachtlichen 38,6 Prozent der Erststimmen vor Kerstin Wolter-Ehling (Linke) mit 22,5 Prozent.

Ein Vergleich mit der letzten Wahl vor fünf Jahren ist schwierig, da aus damals fünf jetzt sechs Wahlkreise gebildet und vor allem die Kreuzberger Kieze völlig neu aufgeteilt wurden. Grob gesagt blieben die WK 4 und 5 in Friedrichshain ungefähr erhalten, der neue WK 6 entspricht etwa der östlichen Hälfte des früheren WK 2, während die westliche Hälfte des alten WK 3 dem neuen WK 1 zugeschlagen wurde, der seinerseits aber die östliche Hälfte an den WK 2 verlor. Versteht man jetzt nicht, ist aber wirklich auch ziemlich kompliziert.

Bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016 hatte Katrin Schmidberger (Grüne) den alten WK 1 sogar mit 44,1 Prozent gewonnen, Marianne Burkert-Eulitz (Grüne) den WK 2 mit 33,4 Prozent, Dr. Turgut Altug (Grüne) den WK 3 mit 31,3 Prozent, Steffen Zillich (Linke) den WK 4 mit 28,2 Prozent und Canan Bayram (Grüne) den WK 5 mit 34,0 Prozent. Will man die Zweitstimmen (in Klammern die Zahlen von 2016) vergleichen, so erreichten die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg 32,3 (28,4) Prozent, die Linke 23,5 (23,4) Prozent, SPD 15,1 (18,2) Prozent, CDU 7,7 (7,8) Prozent, FDP 4,8 (3,9) Prozent und AFD 3,1 (6,4) Prozent.

Direkt ins Abgeordnetenhaus zogen ein Katrin Schmidberger, Marianne Burkert-Eulitz, Dr. Turgut Altug, Vasili Franco, Julian Schwarze (alle Grüne) und Damiano Valgolio (Linke); über die Landeslisten Elif Eralp (Linke), Steffen Zillich (Linke), Sevim Aydin (SPD), Sven Heinemann (SPD) sowie Kurt Wansner (CDU). Neu davon sind Vasili Franco, Julian Schwarze, Damiano Valgolio, Elif Eralp und Sevim Aydin - die damit genauso wie Schwarze den Sprung von der BVV eine Liga höher geschafft hat.

Die FDP hat jetzt Fraktionsstatus

Bleibt noch die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Schauen wir zunächst auf die Prozente (in Klammern der Vergleich zu 2016): Grüne 34,6 Prozent (plus 1,9), Linke 21,6 Prozent (plus 0,8), SPD 14,8 Prozent (minus 2,5), CDU 7,9 Prozent (plus 0,2), FDP 4,7 Prozent (plus 1,5), AFD 3,1 Prozent (minus 3,0). Das entspricht so ungefähr den Zweitstimmen aus Friedrichshain-Kreuzberg für die Wahl zum Abgeordnetenhaus: Die Grünen legen auf hohem Niveau noch etwas zu, die Linken ein kleines bisschen, die SPD verliert hingegen deutlich, die AFD hat sich praktisch halbiert. Und die FDP wächst.

Friedrichshain-Kreuzberg in zehn oder 20 Jahren. Foto: ks

Interessanter ist natürlich die Sitzverteilung. Die BVV hat 55 Sitze. Davon entfallen auf die Grünen 22 (bisher: 20), die Linke 13 (bisher 11), SPD 9 (bisher 10), CDU 5 (bisher 4), FDP 3 (bisher 2), die Partei 2 (bisher 4) und die AFD 1 (bisher 3). Die FDP hat damit Fraktionsstatus gewonnen, die Partei hat keinen mehr und ist nur noch eine Gruppe. Insgesamt ist das Gewicht der bisherigen grün-rot-(roten) Mehrheit sogar noch etwas ausgeprägter geworden.

Von den sechs StadträtInnen inklusive BezirksbürgermeisterIn entfallen laut interner Berechnung nach dem d'Hondtschen Höchstzahlenverfahren drei Posten auf die Grünen, zwei auf die Linke und einer auf die SPD. Dabei dürfte Clara Herrmann (Grüne) als Bürgermeisterin gesetzt sein, vermutlich auch Oliver Nöll (Linke), Florian Schmidt (Grüne) und Andy Hehmke (SPD). Über die anderen beiden lässt sich natürlich umfänglich spekulieren.

Die vollständige Liste der Gewählten sowie Details zur Auszählung in den verschiedenen Wahllokalen finden sich hier. Dem Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co enteignen" stimmten in Friedrichshain-Kreuzberg 72,4 Prozent der Wähler zu, 24,0 Prozent waren dagegen. Der Berliner Durchschnitt lag bei 56,4 Prozent ja und 39,0 Prozent nein. Etwas verwunderlich ist die hohe Zahl von 4,6 Prozent ungültigen Stimmen.