Simone Tappert erklärt den Kiez rund um die Mittenwalder Straße
Vor eineinhalb Jahren trafen wir uns erstmals im »UnterRock« und plauderten über den Kiez. Über verschiedene Gruppen, über Grenzen und über Lieblingsräume. Heute sitzen wir wieder dort und Simone Tappert erzählt ausführlich, was sie macht
Simone ist 37 Jahre alt, stammt aus Wien, hat einen Job in Basel und forscht seit drei Jahren über »Nachbarschaft« rund um die Mittenwalder Straße. Niemand kennt den Kiez so genau wie sie. Derzeit schreibt sie ihre Doktorarbeit. Dazu sucht sie übrigens noch Interviewpartner, die gern etwas über ihre Nachbarschaft erzählen.
Simone, warum interessierst du dich ausgerechnet für unseren Kiez?
Einmal, weil er soziokulturell sehr durchmischt ist. Es gibt hier unterschiedliche Milieus, Altersgruppen, Menschen mit unterschiedlichen Herkünften. Wenn man herumläuft, sieht man aber auch: Ganz viele Leute machen etwas. Blumen, Schildchen, die angebracht werden, Kleinigkeiten, aber es löst eine ganz eigene Atmosphäre aus. Für mich hat das mit Entschleunigung zu tun. Ich habe das Gefühl, ich kann mich hinsetzen und komme leicht mit Leuten ins Gespräch.
Wir haben hier, von Corona abgesehen, auch ein tolles Straßenfest!
Ja genau! Leute machen etwas und das ist für mich gewinnbringend.
Diese vielen verschiedenen Leute, leben die zusammen oder eher nebeneinander her?
Einerseits ist es ein Nebeneinander, aber ein toleriertes Nebeneinander. Es fällt auf, in einer Bar oder beim Bäcker, wie homogen die Gruppen sind. Man merkt es auch sprachlich. Die einen sprechen Deutsch, die anderen Türkisch, die nächsten Arabisch.
Aber in den Häusern findet auf alle Fälle eine Durchmischung statt. Nachbarschaft lebt ja von Begegnungen. Das muss gar nicht heißen, dass man viel miteinander zu tun hat, sondern man nimmt sich wahr. Ein Gruß im Treppenhaus, im Hinterhof, wo man den Müll wegwirft. Da gibt es viel Begegnung. Das hat Potenzial, dass man lernt, das Andere auszuhalten und anzuerkennen, dass da andere sind. Es hat aber auch Konfliktpotenzial.
Jetzt sind wir schon bei der Nachbarschaft. Was ist »Nachbarschaft«?
Häufig meint man damit so etwas wie sozialen Kitt, eben engagierte Bürger und Bürgerinnen. Aber ich finde das einen sehr normativen Anspruch und habe Lust, das etwas zu entrümpeln. Nachbarschaft hat vor allem mit sozialen, aber auch mit räumlichen Praktiken zu tun. Wo bin ich gerne? Wo bin ich nicht gerne? Wie nehme ich andere wahr? Wie ist das Leben im meinem Wohnhaus? Nachbarschaft kann ein Sehnsuchtsort sein.
Aber auch bedrohlich!
Ja! Vielleicht will ich überhaupt keine Nachbarn und anonym sein. Das ist sehr verschieden. Wir haben heute viele Bezugspunkte. Die Arbeit, vielleicht die Eltern in einem anderen Land, das Internet. Welche Bedeutung hat das Lokale eigentlich im Alltag?
Du hast selbst zwei Jahre lang in der Mittenwalder Straße gewohnt.
Das ist ethnographische Forschung, da taucht man in den Forschungsgegenstand ein. Ich bin jetzt dreieinhalb Jahre in Berlin, das ist für mich eine lange Zeit. Ich habe in Wien Kultur- und Sozialanthropologie studiert. Dann war ich ein Jahr in Holland, ein Semester in Argentinien, in Spanien, in Irland hab ich einen Master in angewandter Sozialwissenschaft gemacht. Ich war immer sehr rastlos und wollte etwas Neues entdecken. Hier in Berlin habe ich erstmals das Gefühl, ich bin ein bisschen angekommen.
Und guckst auf die Stadt mit der Brille der Wissenschaft …
Ich forsche total gerne, aber mich drängt es viel mehr in die Praxis. Eigentlich möchte ich beides verbinden. Ich würde nie komplett an die Universität gehen, das ist nicht mein Ding. Lieber mache ich noch einen Master in Stadtplanung an der TU.
Du hast einmal gesagt, du träumst davon, mit dem Pferd allein durch die Steppe zu reiten. Aber als Doktor galoppiert man nicht durch die Mongolei!
Das weiß man nicht! Alles ist möglich! Ich hab übrigens letztens mit dem Reiten angefangen. Ich fahr einmal die Woche nach Brandenburg raus und das finde ich total schön!