Zwischen allen Stühlen

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Cengiz Demirci managt im Bauwagen den Görlitzer Park

Cengiz Demirci. Foto: ks

Ein sonniger Herbsttag im Görlitzer Park. Ein paar Jogger, Fahrradfahrer, Frisbee-Spieler, eine junge Frau mit ihrer kleinen Tochter am Kinderbauernhof. Keine zehn Meter davon entfernt bietet ein Dealer seine Ware an. »Geht’s gut?«, flüstert er mit heiserer Stimme. »Weed?« Seine Kollegen lungern um die Bänke an den Kreuzungen und Parkeingängen herum, bis zu 200 sind es an manchen Tagen. Mitunter gehen die Drogengeschäfte ganz offen vor sich, und jeder kann zusehen, wie Stanniolpäckchen mit Gras den Besitzer wechseln. Alles wirkt ruhig und doch liegt eine leichte Spannung in der Luft.

»Es ist besser geworden«, sagt Cengiz Demirci, »es gibt weniger Beschwerden.« Der 45-Jährige ist seit zwei Jahren Parkmanager im »Görli« und kümmert sich darum, dass dort zumindest gewisse Regeln eingehalten werden: keine aggressive Anmache, kein Verkauf von Gras an Jugendliche, kein Sexismus gegenüber Frauen. »Wir haben zu den Dealern gesagt: Brüder, möchtet Ihr, dass jemand euren Schwestern hinterherpfeift und ruft: ‚Hey Baby, du hast aber einen heißen Knackarsch?‘ Nein? Dann lasst ihr es bitte auch.«

Der Parkmanager stellt so etwas wie die Antwort des rot-rot-grünen Senats auf das Scheitern der Null-Toleranz-Politik von Ex-Innensenator Frank Henkel (CDU) dar. »Friedliche Koexistenz« heißt jetzt das Motto. Die Dealer aus Nordafrika, Guinea, Gambia, Ghana, Mali oder Nigeria werden geduldet – soweit sie keine Randale machen. Demirci ist ohnehin der Meinung, dass Verbote nichts nutzen: »Berlin hat keine legalen Räume für Cannabis und ruft trotzdem Partytouristen in die Stadt. Die Nachfrage lässt das Angebot überhaupt erst entstehen. 80 Prozent der Dealer würden sofort arbeiten, wenn man sie nur arbeiten ließe.«

Cengiz Demirci wurde in Germersheim bei Landau (Rheinland-Pfalz) geboren. »Ich bin eigentlich ein Gastarbeiterkind«, sagt er. Heilbronn, Istanbul, Kiel, Hamburg, in Hannover hat er Sozialpsychologie studiert, dann zog es ihn nach Berlin. Bei einer großen Fitness-Kette kümmerte er sich um Sozialprojekte, war Stadtteilkoordinator im Mierendorff-Kiez in Charlottenburg. Als er im Netz die Anzeige für den Parkmanager entdeckte, wusste er: »Das ist der Job, den ich gerne machen würde.«

Mit Ausgrenzung hat er selbst viel Erfahrung. »Ich lernte erst in der Schule, dass ich Ausländer bin. Meine Generation und die meiner Eltern, wir haben nie dazugehört, wir waren immer nur Humanressourcen.« Einmal hat der Psychologe 270 Bewerbungen umsonst weggeschickt. Schon seit Jahren sucht er eine Vier-Zimmer-Wohnung: »Wenn ich mit meinem Nachnamen anrufe, ist die Wohnung immer schon vergeben.«

Nicht nur wegen solcher Erlebnisse kann Demirci die Situation der Dealer gut verstehen. Tatsächlich sitzt Demirci in seinem Bauwagen im »Görli« meistens zwischen allen Stühlen. Beschäftigt wird er vom Bezirksamt, eine Art ideeller Chef war bisher der Gründungsrat, und ist nun der neu gewählte Parkrat. Und da hat es in der Vergangenheit mächtig gekracht.

Denn der Parkmanager hat große Visionen, die nicht alle teilen. Er versteht den Park als Experimentierfeld, möchte neue Formen der Bürgerbeteiligung ausprobieren, einen unabhängigen, autarken Görli schaffen, der sich selbst finanziert. Eine »Gemeinwohl-Ökonomie«, ein »besänftigter Kapitalismus« könnte das sein, mit Cafés, in denen Anwohner unter Anleitung technische Geräte reparieren, mit Werkstätten, wo aus Holzabfällen Souvenirs für Touristen hergestellt werden. Und Mieterträgen, die in einen Fonds fließen, eine Stiftung, die wiederum soziale Projekte speist. Demirci hat viele Ideen. »Auf diesem Weg könnten langfristig die Drogendealer zu einer würdevollen Arbeit finden«, sagt er.

Soweit die Utopie. Währenddessen schlägt draußen die Stimmung ganz plötzlich um. »Polizei, Polizei!«, schreit ein Schwarzer in Panik und rennt quer durch den Park. Zwei uniformierte Polizisten folgen, zwei Polizeiwagen mit Blaulicht hinterher. Nach ein paar Minuten hat sich alles beruhigt. Wachsame Augen sichern nach allen Seiten. Dann ist es wieder da, das heisere Flüstern: »Geht’s gut? Weed?«