»Argumente aus der Eiszeit«

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Die spektakulären »Kreuzberg-Rocks« jetzt auch als Weihnachtsgeschenk

Die Stonelets aus der Bergmannstraße eignen sich im Klein­format hervorragend als Briefbeschwerer. Foto: ks

Egal wie man sie nun nennen mag: Die »Kreuzberg-Rocks« oder »Stonelets« waren eine der großen Überraschungen des vergangenen Jahres. Erst lagen die Findlinge aus der Eiszeit auf dem »Begegnungsplatz« herum, um Falschparker abzuschrecken. Dann auf den verwaisten Parklet-Flächen.

Jetzt liegen sie bei »Herrlich Männergeschenke« am Ende der Bergmannstraße im Schaufenster und vielleicht auch bald in anderen Geschäften. Als Briefbeschwerer und ideales Weihnachtsgeschenk mit kritischem Lokalbezug. »Dir fehlen mal die Argumente? Nimm: Kreuzberg-Rock! Ein Argument aus der Eiszeit«, so der schriftliche Ratschlag.

Michael Becker hat sie gebastelt, und man darf vermuten, dass seine Erfahrungen mit der Bürgerbeteiligung in der Bergmannstraße dabei ihren Niederschlag fanden. Becker ist Sprecher der Gewerbetreibenden dort. Im Oktober hatte er aus Protest die »Steuerungsrunde« verlassen, eine Art Runder Tisch von Bezirk, Planungsbüros und Vertretern der Zivilgesellschaft. Er vermisse ein »echtes Interesse an ausgewogenen Lösungen«, sagte er damals zur Begründung. »Hauruck-Lösungen und Wackersteine« alleine würden nicht weiterhelfen: »Hier will ich nicht mehr länger als Quoten-Fuzzi herhalten.«

Zudem erhob Becker beim Verwaltungsgericht eine Untätigkeitsklage, weil die Gewerbetreibenden auf einen Brief an den Bezirk vom Juli keine Antwort erhalten hätten. Darin beklagen sie die Verlegung des Bergmannstraßenfestes in die Kreuzbergstraße.

Wir haben natürlich das Bezirksamt um eine Stellungnahme gebeten. Die Forderungen der Gewerbetreibenden seien in der Steuerungsrunde ausführlich besprochen worden, so Baustadtrat Florian Schmidt. Daher hätte sich eine schriftliche Beantwortung des Briefes erübrigt. Die Vorwürfe Beckers an die Steuerungsrunde selbst wies er als »haltlos und ehrabschneidend« zurück.

Jetzt sind auch die grünen Punkte weg

Bewundert viel und viel gescholten: Die grünen Punkte werden abgeschliffen. Foto: ks

Unterdessen ist das Beteiligungsverfahren in der Bergmannstraße praktisch abgeschlossen. »Die Ergebnisse werden derzeit in einem Abschlussbericht zusammengefasst und zu einem Vorschlag zur weiteren verkehrlichen Gestaltung der Straße und des Kiezes verdichtet«, so der Baustadtrat. Beide würden im ersten Quartal 2020 in der BVV und auch bei einer öffentlichen Abschlussveranstaltung vorgestellt.

Das Verfahren sei von Anfang an »ergebnisoffen« konzipiert worden. Schon jetzt lasse sich aber erkennen, dass von den Anwohnern mehrheitlich eine deutliche Verkehrsberuhigung und eine Sperrung des Durchgangsverkehrs gewünscht würden. Das ist auch Tenor eines Einwohnerantrags, den sich die BVV inzwischen mit großer Mehrheit zu eigen gemacht hat. Dort wird verlangt, den ganzen Bergmannkiez zur verkehrsberuhigten Zone zu erklären und auf Hauptstraßen Tempo 30 einzuführen.

Abseits der Politik liegen in der Bergmannstraße immer noch ein paar Stonelets herum. Andere Ex-Parklet-Flächen werden meist von parkenden Autos okkupiert, da­­bei stören allerdings die einbetonierten Warnbaken. In einer offenbar recht aufwändigen Aktion wurden letzte Woche die grünen Punkte eliminiert. Einmal mehr reagierten Anwohner mit Staunen und Ratlosigkeit. Fragte einer: »Kommen jetzt vielleicht goldene Sterne – passend zur Jahreszeit?«


Kommentar: Erschöpft und ratlos

In diesen Tagen macht die Bergmannstraße einen verwahrlosten Eindruck. Ein paar vergessene Wackersteine liegen herum, am Straßenrand aufeinandergeschichtete Plastikabsperrungen, dazwischen der Modder, der sich im Sommer unter den Parklets angesammelt hat.

Ein Bild, das Desinteresse vermittelt und eine gewisse Ratlosigkeit – die gleiche Ratlosigkeit, die in vielen Gesichtern zu sehen war, als die Parklets erst aufgebaut, dann wieder abgebaut, die grünen Punkte aufgemalt, dann wieder abgeschliffen wurden.

Rund um die Bergmannstraße scheint sich eine Art Erschöpfung breit zu machen. Die umfangreichen Debatten der vergangenen Monate wa­ren fruchtbar, gewiss. Sie haben aber auch Gräben aufgerissen, sehr tiefe Gräben. Manche haben den Eindruck, dass das Grün-Rot-Rot, das wir alle haben wollten, längst nicht mehr für alle spricht.