... und entschuldigt sich für die Verwirrung
Lokalpolitik ist ja mitunter eine recht langweilige Angelegenheit. Glücklicherweise muss man dank Corona gar nicht mehr in die Yorckstraße laufen und kann die Tiefen und Untiefen der Debatten im Bezirksparlament zuhause bei einem Gläschen Rotwein genießen. Vorausgesetzt, der Livestream oder besser: die Videokonferenz funktioniert - was sie letzten Montag dankenswerterweise getan hat. Aber abgesehen davon ist Politik manchmal eben auch ziemlich lustig.
So postete das Bezirksamt am Donnerstag auf Twitter die "Zahl der Woche". Sie lautete 13,01 - denn so viel, also 13,01 Euro, beträgt im Bezirk die "durchschnittliche Netto-Kaltmiete pro m²", wie es hieß. Nun sind die Mieten in Kreuzberg tatsächlich sehr hoch, sogar viel zu hoch, daran gibt es gar keinen Zweifel. Aber 13 Euro kalt? Denkt man eine Weile darüber nach, was man selber zahlt, was Freunde in der gleichen Straße zahlen und wiederum deren Freunde ein paar Straßen weiter, schien das doch etwas übertrieben.
Auch bei Twitter wollte es niemand glauben. "Nicht Ihr Ernst? Aus welchen Werten haben Sie diese Zahl gebastelt?", hieß es skeptisch. Nach Belegen wurde gefragt, deutlich niedrigere Erfahrungswerte aus dem Mietspiegel angeführt oder böse kommentiert: "Frei erfunden!" - "Bullshit!" - "Hört doch auf, solche Propagandalügen zu verbreiten. Das ist erbärmlich!" Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann twitterte währenddessen ungerührt ein Smiley mit einem verschlafenen Gesicht.
Am Ende fand dann mogblog heraus, woher die Zahl stammt. Nämlich aus dem Flyer "Friedrichshain-Kreuzberg in Zahlen", dort allerdings ausgewiesen als "mittlere Angebotsmieten bei Neuvermietung 2019 (nettokalt/m²)", die wiederum dem IBB Wohnungsmarktbericht 2019 entnommen sind. Nun beziffern diese Angebotsmieten aktuelle "Preisvorstellungen eines großen Teils der Vermieterseite" - also nicht einmal die Höhe der neu abgeschlossenen Verträge und schon gar nicht die momentane durchschnittliche Bestandsmiete im Bezirk, wie ursprünglich behauptet, die natürlich deutlich darunter liegt.
Schließlich nannte auch der Bezirk diese Quelle und bat zerknirscht um Entschuldigung für die "Verwirrung". Wie hoch aber ist die Bestandsmiete nun tatsächlich? Der gleiche IBB-Bericht, der in Tabelle 24 die Angebotsmieten auflistet, stellt in Tabelle 38 Kennzahlen aus dem Mikrozensus 2018 zusammen. Und da steht unter "Nettokaltmiete pro m² in Euro" für Friedrichshain-Kreuzberg die Zahl 7,9. Nach dem neuen BBU-Marktmonitor , der gerade herausgekommen ist, lag bei den Mitgliedsunternehmen die Durchschnitts-Kaltmiete im Bezirk Ende 2019 sogar noch etwas tiefer, nämlich bei 6,49 Euro - und das ist witzigerweise fast genau die Hälfte der ursprünglich veranschlagten 13,01 Euro.
Update 16.02.2021: Stilistisch leicht verbessert