Sibylle Schmidt kehrt überraschend als neue Vorsitzende in die AfD-Fraktion zurück
Die AfD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ist wieder komplett. Erst Ende September war sie ausgetreten, seit 31. Oktober ist Sibylle Schmidt jetzt wieder Mitglied der Fraktion. Gleichzeitig wurde sie zur neuen Vorsitzenden gewählt. Die Linke vermutet einen Zusammenhang mit der höheren Entschädigung, welche die Verordneten ab Januar erhalten, und spricht von »Selbstbedienungsmentalität«. Fraktionschef Oliver Nöll will den Vorgang vom Rechtsamt des Bezirks überprüfen lassen.
Sibylle Schmidt galt immer schon als bunter Vogel in der sonst eher biederen dreiköpfigen AfD-Fraktion im Kreuzberger Kommunalparlament. Immerhin machte sie sich in Kreuzberg früher als Sponti-Akteurin der linken Subkultur einen Namen und führte einen so illustren Titel wie »Männerbeauftragte« der Spaßpartei »Patriotische Demokraten / Realistisches Zentrum« (KPD/RZ). Nach mehr als einem Jahrzehnt bei der SPD sitzt sie seit September 2016 nun als parteilose Verordnete für die AfD in der Kreuzberger BVV.
Zu ihrem Austritt Ende September sagte sie gegenüber dem »Tagesspiegel«, sie sei als Kassenprüferin nicht mit den Ausgaben und Verteilung von Geldern der Bezirks-AfD einverstanden. Die Personal- und Fraktionsarbeit laufe nicht so, wie sie sich das vorstelle. Mit ihr verlor die AfD ihren Fraktionsstatus und war nur noch eine Gruppe. Das bedeutet weniger Geld, kein Stimmrecht in den Ausschüssen und kein Recht auf einen eigenen Raum – also eine ganze Reihe handfester Nachteile.
Gestern dann die große Überraschung: Am 31. Oktober kehrte Schmidt zu ihren Kameraden zurück, die damit wieder eine eigene Fraktion bilden können. »Die drei Mitglieder der BVV, die auf dem Wahlvorschlag ›Alternative für Deutschland‹ gewählt wurden, haben wieder zueinander gefunden und bilden ab heute die Fraktion der AfD«, heißt es in einer Mitteilung des BVV-Büros. Die zweite Überraschung: Der bisherige Vorsitzende Christof Meuren wird von Sibylle Schmidt, die bis September nur Stellvertreterin war, als neuer Fraktionschefin abgelöst. Die Fraktion der Linken in der BVV vermutet jetzt einen Zusammenhang mit der höheren Aufwandsentschädigung, welche die Verordneten ab 2020 erhalten.
Im Herbst hatte das Berliner Abgeordnetenhaus seine Diäten nämlich deutlich erhöht. Bezirksverordnete sind im Prinzip ehrenamtlich tätig, bekommen aber eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 15 Prozent einer Abgeordnetendiät. Das bedeutet, dass auch ihre Entschädigungen ab 1. Januar stark steigen. So erhält ein einfacher Bezirksverordneter bisher 590 Euro pro Monat, künftig aber 937 Euro (zusätzlich gibt es noch Sitzungsgelder und eine Fahrgeldentschädigung). Der Vorsitzende einer Fraktion bekommt doppelt so viel – also bisher 1180 Euro, künftig 1874 Euro pro Monat. Die Verwandlung einer einfachen Verordneten im Jahr 2019 zur Fraktionsvorsitzenden im Jahr 2020 bedeutet in harten Zahlen also einen Sprung von monatlich 590 Euro auf 1874 Euro.
Witzigerweise hatte ausgerechnet die AfD im Abgeordnetenhaus gegen die Diätenerhöhung votiert, von der Schmidt jetzt indirekt profitiert. Laut »Tagesspiegel« sprach der parlamentarische Geschäftsführer Frank-Christian Hansel damals von einem »egoistischen Alleingang« der Altparteien und einem »faulen Kompromiss auf Kosten der Steuerzahler«.
Die Linken in der Kreuzberger BVV werfen der AfD-Fraktion nun ihrerseits eine »Selbstbedienungsmentalität« vor. Vor allem die kurze Zeitspanne, die zwischen dem Austritt von Schmidt, ihrem Wiedereintritt und der gleichzeitigen Wahl zur Fraktionsvorsitzenden liegt, sorgt für Empörung. »Unabhängig von der politischen Ausrichtung der AfD, die wir natürlich ablehnen«, sagt Linken-Fraktionschef Oliver Nöll, »halten wir das für einen bemerkenswerten Vorgang, weil sich hier der Eindruck aufdrängt, dass man jemanden quasi in die Fraktion zurückgekauft hat.« Die Links-Fraktion habe sich am Freitag entschieden, diesen Vorgang durch das Rechtsamt des Bezirks überprüfen zu lassen.
Am frühen Abend gelang es endlich, Sibylle Schmidt persönlich ans Telefon zu bekommen. »Es gab Differenzen, die Kollegen sind nicht so kämpferisch wie ich«, erklärt sie ihren Rückzug im September. Konkret sei es dabei darum gegangen, die Fraktionsgelder produktiver einzusetzen. »Dann hab ich verhandelt, schließlich bin ich Betriebswirtin, und gesagt: Wenn wir wieder zusammengehen wollen, bin ich die Chefin!« Dieser Plan hat offenbar funktioniert. Dass sich der neue Status für sie auch finanziell rentiert, war ihr dabei nach eigenen Angaben gar nicht klar. Aber als ihr der Autor die einschlägigen Zahlen vorrechnet, hat die frühere Sponti-Frau auch nichts dagegen einzuwenden. »Ist ja geil«, sagt sie. »Das passt. Ich find’s natürlich fantastisch!«