Keine Scharlach-Kastanie, aber immerhin eine Wildbirne
An Weihnachten gibt es oft Enttäuschungen. Wer sich als kleiner Junge das legendäre Schlachtschiff "Bismarck" gewünscht hat, das im Atlantik nach heldenhaftem Kampf unterging, und dann - weil Papa von solchen Dingen keine Ahnung hatte - doch nur die "Tirpitz" geschenkt bekam, die sich ihr kurzes Leben lang feige in einem norwegischen Fjord verkroch, erinnert sich daran. Und wenn das mit Mühe zusammengebastelte Plastikmodell dann in der Badewanne schon nach wenigen Sekunden absoff, fing man sich leicht ein lebenslanges Trauma ein. Nun gut, das ist lange her und damals wusste man noch nicht, dass Kriegsspielzeug gar nicht geht.
Aber auch unter Erwachsenen werden nicht alle Wünsche wahr. Wie sehr haben wir uns an der Ecke Zossener / Fürbringerstraße eine Scharlach-Kastanie gewünscht! Einen ernst zu nehmenden, Ruhe ausstrahlenden Baum, in dessen Blättern der Wind rauscht, der im Herbst mit Kastanien um sich wirft und unter dem man später mal sitzen und Hermann Hesse lesen kann. Stattdessen ist es nach dem Willen des Bezirks leider nur eine Chinesische Wildbirne geworden, Pyrus calleryana "Chanticleer", ein Birnchen, ein schmales Alibibäumchen, das grün mehr vorgibt als grün zu sein, im Sturm leicht den Halt verliert und das Klima ganz sicher nicht retten wird. Immerhin macht es ein bisschen mehr her als diese armen Pflanzkübel-Dinger, die an anderen Stellen verteilt werden.
Trotzdem heißt mogblog das Bäumchen als neuen Kiezbewohner natürlich herzlich willkommen. Sein Erscheinen war angekündigt: Erst ließ das Straßen- und Grünflächenamt den alten Kastanien-Stumpf beseitigen (dabei wurden übrigens Stockrosen und Topinambur plattgemacht, die Anwohner ein halbes Jahr lang liebevoll gepflegt und gegossen hatten), zwei Wochen später verschwanden alle Reste, wieder zwei Wochen später kam dann der Baum und noch einmal zwei Wochen später Rindenmulch. Die Wildbirne ist Teil der Stadtbaumkampagne 2020 und wurde ermöglicht durch eine Spende von Meike Lechler.
Frau Lechler wohnt in der Solmsstraße. Sie erzählt, dass "wir jedes Jahr Bäume gießen wie verrückt", mit dem Wasser aus der Schwengelpumpe vor der Fürbringerstraße 2 (die im Unterschied zu vielen anderen Straßenbrunnen in der Regel funktioniert). Weil sie beruflich bei der NABU-Jugend arbeitet, ist ihr das ohnehin eine Herzensangelegenheit. Das Bäumchen selbst wird jetzt drei Jahre lang aus Landesmitteln gepflegt, aber die Spenderin betrachtet das schon "als so eine Art Patenschaft" und will sich im nächsten Frühjahr auf jeden Fall um die große, quadratische Baumscheibe kümmern. Auch Alexander vom "Zweiten Büro" an der Ecke ist zufrieden: "Ich bin froh, dass da endlich wieder ein Baum steht", sagt er. Also ist am Ende doch alles gut!