70-jährige Linde an der Gneisenaustraße gefällt
Es war nicht irgendeine Linde. Es war die Linde, die Schatten auf das renovierte hellgelbe Haus mit den Mauersegler-Nistkästen warf. Deren Blätter im Wind rauschten, wenn man sich bei der Bäckerei an der Ecke einen Kaffee reinzog. Die nerven konnte, wenn sie bei Westwind geflügelte Früchte oder Laub allzu großzügig über die mog61-Beete an der U-Bahn verteilte. Den Autos stand sie übrigens gar nicht im Weg - im Gegensatz etwa zu der Platane gegenüber, die bei den Autofahrern verhasst ist, weil sie beim Abbiegen den Blick versperrt.
Die 70-jährige Linde an der Ecke Gneisenau- / Mittenwalder Straße hat es nicht geschafft. Gestern rückte ein Baumfälltrupp an und hat sie abgesägt. Am Nachmittag lagen noch Stücke des mächtigen Stammes und jede Menge Äste herum, ein paar Stunden später waren auch diese kleingehäckselt. Geht fix, wenn man einmal damit angefangen hat, da ist ein dreiviertel Jahrhundert ratzfatz weg. Tilia, so der lateinische Name. Offiziell trug sie die Nummer 317. Jetzt gähnt dort ein Loch und auf einmal merkt man, was es für das Stadtbild bedeutet, wenn auf der Mittelinsel ein wichtiger Eckbaum fehlt.
mogblog hat beim Bezirksamt nachgefragt. Die Linde sei kurzfristig "aus Gründen der Gefahrenabwehr zur Wahrung der Verkehrssicherheit" gefällt worden, heißt es dort. Und weiter: "Die Entscheidung wurde durch das Baummanagement des Bezirksamtes getroffen. Grund ist eine tiefe / ausgedehnte Fäulnis im Stammfuß bzw. Wurzelstock, so dass die Standsicherheit nicht mehr gewährleistet werden konnte. Zusätzlich war die Krone straßenseitig bereits fast zur Hälfte abgestorben." Muss man jetzt befürchten, dass auf dem Mittelstreifen weitere Bäume betroffen sind? Es sei eine Einzelfallentscheidung gewesen, so das Amt, die sich "nur auf diesen konkreten Baum bezieht".
Wie reagieren die Anwohner? "Schon blöd. Bei mir in Neukölln haben sie auch einen ... zack!", berichtet eine Passantin und macht die Gebärde des Halsabschneidens. C. wohnt direkt an der Ecke. "Ich war ganz traurig, ich kam von der Arbeit nach Hause, hab das gesehen und musste mich erst mal auf den Poller setzen." A. schimpft auf die Baumfäller und murmelt etwas von "toxischer Männlichkeit": "Das ist sowas von asozial. Der stand da, hat seine Muskeln spielen lassen und die Kettensäge gezückt!" Aber das betraf gar nicht die Linde, sondern eine Baumhasel, 54 Jahre alt, einige Häuser östlich. Die ist seit ein paar Tagen auch weg.