Menschen auf der Straße äußern ihre Bedürfnisse
Wenn über Probleme von Menschen gesprochen wird, die auf der Straße leben, kommen die Betroffenen häufig gar nicht zu Wort. Bei "Zeit für Gespräche" ist das anders. Unter diesem Titel hat der Verband für sozial-kulturelle Arbeit (VskA) e.V. zusammen mit dem Aktionsbündnis Solidarisches Kreuzberg und der Selbstvertretung wohnungloser Menschen e.V. rund 40 Obdachlose in Kreuzberg zu ihren dringendsten Nöten befragt und umfängliche Interviews geführt. Die Ergebnisse wurden am 20. Juli im Nachbarschaftshaus in der Urbanstraße (NHU) diskutiert - nicht zuletzt mit den wohnungslosen Menschen selbst.
Das sei natürlich "keine wissenschaftliche Studie", räumte Projektleiter Bálint Vojtonovszki ein, aber ein Anfang: "Wir wissen so wenig von den Menschen, die obdachlos in Berlin leben." Zwischen 2000 und 5000 sollen es nach den üblichen Schätzungen sein. Von den 37 Wohnungslosen, mit denen sein Team an der Tagesstätte am Wassertor, am Kottbusser Tor und am U-Bahnhof Südstern gesprochen hat, waren 32 Prozent weiblich. Nationalität, Aufenthaltsstatus, Dauer der Obdachlosigkeit und Drogenkonsum wurden wohl aus Höflichkeit nicht erfasst - was misslich ist, weil sich dahinter oft begünstigende Faktoren für ein Leben ohne Dach über dem Kopf verbergen können.
Erstaunliches Ergebnis: Auf die Frage: "Was brauchen Sie am dringendsten?" antworten weniger als die Hälfte der Befragten, nämlich 18, mit "Wohnraum". Hingegen würden sich 21 Menschen über zusätzliche Hilfsangebote freuen, 15 vermissen Gebrauchsgegenstände, elf suchen Arbeit, neun wünschen sich Gesundheit und gleichviel Aufenthalt / Asyl. Bürokratische Hürden, Krankheit, aber auch fehlende zwischenmenschliche Beziehungen werden als größte tägliche Herausforderungen empfunden. 26 von 37 befragten Menschen ohne Wohnung haben überdies Erfahrungen mit Diskriminierung oder Gewalt machen müssen.
Nach einer engagierten Diskussion ("Wie können wir die Politiker dazu bringen, dass sie aufhören zu lügen und uns endlich die Wahrheit sagen?") formulierten vier Arbeitsgruppen im World-Café-Format detaillierte Vorschläge. So sollte ein am Hermannplatz während der Corona-Pandemie installierter Container für niederschwellige medizinische Versorgung wiederbelebt werden, Konfliktlotsen könnten Streitfälle zwischen Obdachlosen und Anwohnern schlichten und kostenlose Toiletten sind ebenfalls ein Thema. Kurzfristig sollen die Ergebnisse der Befragung in einer Broschüre veröffentlicht werden. Längerfristig sind im Januar 2023 und im Sommer 2024 weitere Zählungen geplant. Auch "Zeit für Gespräche" wird fortgesetzt. Vojtonovszki: "Es ist wichtig, dass wir den Menschen einfach zuhören!"
Kontakt: Zeit der Solidarität