Cansel Kiziltepe: "Der Austausch mit Initiativen und Bürgern, das ist meine Stärke!"
Cansel Kiziltepe (SPD) vertritt seit 2013 den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg / Prenzlauer Berg Ost im Deutschen Bundestag. Im Dezember 2021 wurde sie zur Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen ernannt. Hier ist Teil 2 des mogblog-Interviews.
Frau Kiziltepe, was eine Abgeordnete macht, davon hat man so ungefähr eine Ahnung. Aber was eine Staatssekretärin macht, weiß eigentlich niemand. Was machen Sie den ganzen Tag?
Parlamentarische Staatssekretäre vertreten die Ministerin, sie sind Teil der Bundesregierung, wir sitzen auch im jeweiligen Ausschuss des Deutschen Bundestages, also wir sind dann anwesend, wenn der Bauausschuss im Deutschen Bundestag tagt, und müssen Rede und Antwort stehen zu bestimmten Fragestellungen. Wenn die Ministerin nicht da ist, sind wir da und antworten auf die Fragen der Abgeordneten.
Aber das ist ja nicht alles. Wie schaut für Sie ein typischer Vormittag aus?
Als erstes stehe ich natürlich auf und versorge meinen sechsjährigen Sohn, der hat Hunger, der zieht sich an, der muss fertiggemacht werden für die Schule. Dann geht’s in die Schule und dann fängt der Tag für mich an. Ich habe manchmal auch reguläre Termine um 7 Uhr morgens, das wird dann alles ein bisschen schwieriger. Aber der Tag dauert sehr lange, vom Morgen bis in die Abendstunden. Die regulären Jour fixe, wo man die aktuelle Lage bespricht, was steht diese Woche an und so weiter, die finden am Montag statt, das sind mehrere Runden, zum einen mit der Ministerin und den Staatssekretären und der Leitungsebene des Ministeriums. Dann haben wir natürlich auch regelmäßige Termine mit den Parteiengremien, der SPD-Bundestagsfraktion, der FDP-Fraktion und mit der Grünen-Fraktion in dem Bereich.
Ja und dann haben wir im Moment ganz viele Kennenlern-Termine, z.B. mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau, wo man sich austauscht. Zu Gesetzesvorhaben haben wir Termine. Und ganz viele wollen einen ja auch treffen, wir haben jede Menge Terminanfragen. Das muss alles abgearbeitet werden. In Sitzungswochen ist es so, man hat ja noch ein Bundestagsbüro, dass man auch mit dem Team dort eine Runde macht, um zu klären, welche Anfragen, welche Sachen behandeln wir diese Woche in den Ausschusssitzungen. Am Mittwoch um 13 Uhr beginnt die Fragestunde im Deutschen Bundestag, da sind wir auch auf der Regierungsbank. Und die Plenardebatten, da sind wir auch im Deutschen Bundestag. Also es ist ein Mehr-als-Fulltime-Job, sag ich mal. Wir arbeiten sehr, sehr viel und haben kaum Zeit …
Hört sich ziemlich anstrengend, ja. Kommen wir doch noch mal zum Vorkaufsrecht zurück. Sie sagten: Wir brauchen eine neue, gesetzlich wasserdichte Regelung im Baugesetzbuch. Wie läuft die konkrete Arbeit dazu in Ihrem Ministerium ab?
Man beauftragt die zuständige Abteilung, dann gab es eine Runde, ein Werkstattgespräch mit Juristinnen und Juristen, die inhaltlich, juristisch darüber diskutiert haben. Wir haben uns angeschaut, welche Vorschläge schon auf dem Tisch liegen. Es gibt ja aus Berlin eine Bundesratsinitiative zum Vorkaufsrecht, eine aus Hamburg, die gucken wir uns auch an und da gibt es halt juristische Feinheiten, welchen Weg man gehen möchte. Es haben sich nach diesem Gespräch noch Folgefragen entwickelt, weil wir auch Prüfbitten von anderen Häusern haben dazu, zum Beispiel von der FDP, das erörtern wir natürlich auch und dann wird das so sein, jetzt in den kommenden Wochen, dass unser Ministerium einen Referentenentwurf vorlegt, der geht in die Ressortabstimmung und wenn die abgeschlossen ist, landet er im Kabinett. Dann gibt es einen Kabinettsbeschluss und dann kann es in das parlamentarische Verfahren gehen, d.h. die erste Lesung im Deutschen Bundestag findet statt, dann gibt es eine Anhörung, dann die zweite und dritte Lesung.
Klingt so, als würde das alles noch eine ganze Weile dauern.
Ich kann sehr gut die Forderung verstehen, dass schnell zu handeln ist. Aber die Demokratie erfordert eben auch diese Abstimmungsprozesse und Verfahren. Das muss eingehalten werden. Aktuell kann man das Vorkaufsrecht leider nicht ausüben, das ist sehr, sehr traurig und tragisch, wir haben zum Beispiel in der Naunynstraße einen Fall, der genau in die Zeit im November fiel und wo das Vorkaufsrecht nicht gezogen wurde. Und das wird noch länger gehen, aber wir haben versprochen, das ist für uns prioritär und wir werden das zügig machen. So schnell das geht in der Regierung und im Parlament, wir haben das sogar abgekoppelt von der allgemeinen Novelle des Baugesetzbuches, die wir auch planen in dieser Legislatur.
Was haben Sie sich denn sonst vorgenommen? Ich lese immer nur von diesen 400 000 Wohnungen. Da fragt der Journalist natürlich sofort: Nun sind schon vier Monate rum. Wie viele wurden denn schon gebaut seit Oktober?
Ja, das stimmt. Sie müssen aber auch wissen, dass wir seit 1998 kein eigenständiges Bauministerium mehr hatten, das war zuletzt beim Bundesministerium des Inneren. Und weil uns das Thema sehr wichtig ist, war es uns auch wichtig, dass wir ein eigenständiges Ministerium haben. Das haben wir jetzt und wir sind eigentlich das Start-Up unter den Bundesministerien. Wir sind im Aufbau, das heißt, wir bauen, wir müssen erst noch ausgegliedert werden. Wir wollen eine Abteilung dazu haben, damit wir die Ziele erreichen, die wir uns gesetzt haben. Dazu ist es notwendig, aktuell in den Haushaltsberatungen Mittel dafür zu bekommen. Daran arbeiten wir. Also wir sind immer noch im Aufbau, der ist noch nicht abgeschlossen. Aber gleichzeitig haben wir auch sehr schnell gehandelt, mit dem Heizkostenzuschuss oder mit der Extra-Milliarde für den sozialen Wohnungsbau, die wir den Ländern zur Verfügung stellen. Wir haben eine Menge zu tun.
Ich glaube, da darf man nicht so streng sein und sagen, wir müssen jetzt dieses Jahr schon das Ziel erreichen. Ich sage immer, wir müssen über die gesamte Legislaturperiode sehen, wie sich das entwickelt. Ein weiterer wichtiger Punkt für mich ist die Wohnungsgemeinnützigkeit, die wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben. Die Wohnungsgemeinnützigkeit wurde 1990 in Deutschland abgeschafft. Wir wollen das wieder reaktivieren, weil der gemeinnützige Sektor wichtig ist für Deutschland, um bezahlbaren Wohnraum auch dauerhaft zu sichern. Es wird eine Förderung von nicht gewinnorientierten Wohnungsgesellschaften geben neben dem privaten Sektor. Und das wird noch eine Herausforderung für diese Legislaturperiode sein.
Bei diesen vielen anstrengenden Aufgaben und Tätigkeiten, was macht Ihnen am meisten Freude?
Der Austausch mit Initiativen, mit Bürgern, das ist meine Stärke und der macht mir sehr viel Spaß. Zu hören, wo es drückt, das ist ja eigentlich auch die Aufgabe einer Abgeordneten, welche Bedürfnisse, was kann ich in die politischen Arbeit einbringen, um dem auch gerecht zu werden. Welche Fehlentwicklungen, welche sozialen Verwerfungen gibt es, was muss da gemacht werden und das erfährt man nur im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern und Initiativen.
Gibt es auch Nischen für Privates? Haben Sie zum Beispiel mal einen Knopf im Ohr und hören Ihre Lieblingsmusik oder haben Sie ein Foto von Ihrem Sohn auf dem Schreibtisch stehen?
Ja, man versucht alles unter einen Hut zu bringen. Das ist gar nicht so einfach. Ich habe natürlich ein Foto von meinen Kindern auf meinem Bürotisch und rufe auch immer durch. Man hat mittlerweile in dem Alter auch Eltern, die mehr Unterstützung brauchen. Ich mach den Einkauf für meine Eltern, wenn ich irgendwie Luft habe, ganz schnell, so zack-zack, meine Eltern wohnen in Kreuzberg in einem Altbau ohne Fahrstuhl und kommen kaum mehr runter. Das heißt, der Einkauf muss hochgetragen werden, alleine packen die das nicht mehr. In dieser Phase bin ich im Moment und das ist natürlich alles nicht einfach, aber man versucht das Beste.
Haben Sie irgendwann richtig frei? Wenn Sie um 20 Uhr zu Hause sind, ist dann Ruhe oder ruft Frau Geywitz um 22 Uhr an und sagt: Mensch Cansel, wir müssen schnell noch das und das besprechen?
Es ist kein Nebenjob, das muss man schon sagen. Man hat auch keine Wochenenden, man ist rund um die Uhr beschäftigt.
Nochmal die Frage: Macht das Spaß? Hat es sich gelohnt?
Ja, total. Mir macht die Arbeit als Abgeordnete sehr viel Spaß. Und wenn man dabei auch etwas erreicht. Einer meiner größten Erfolge war zum Beispiel damals die Rückabwicklung des Kaufvertrages über das Dragonerareal, hinter dem Finanzamt in Kreuzberg. Das war ein Präzedenzfall, wir haben das erkämpft im Bundesrat, dass die Mehrheit gegen diesen Verkauf gestimmt hat, das war sehr, sehr spannend. Es war eine Riesenaktion, keiner hätte gedacht, dass wir das erreichen, und jetzt wird dieses Areal vom Land Berlin entwickelt. Ich konnte auch erreichen, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben nicht mehr meistbietend Filetgrundstücke verkauft. Heute haben die Kommunen ein Erstzugriffsrecht, wenn Bundesliegenschaften verkauft werden. Das war ein weiterer Erfolg. Ja, und daran mitzuwirken, erfüllt einen natürlich. Wenn man auf der Straße für diese Sachen kämpft und das Parlament das dann auch ändern kann.
Danke für das Gespräch!
In Teil 1 des Interviews erklärte Cansel Kiziltepe, warum viele Berliner Probleme auch bundesweit von Belang sind und warum sie jetzt eigentlich zwei Berufe gleichzeitig hat.