Die Urteilsbegründung zum Vorkaufsrecht ist da
Im November hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein Urteil zur Anwendung des kommunalen Vorkaufsrechts in der Kreuzberger Heimstraße 17 gefällt. Nun liegt die 15-seitige Begründung dieses Urteils vor. Sie lässt keinen Interpretationsspielraum, ist sehr eindeutig und bedeutet insgesamt eine herbe Niederlage für den Bezirk, aber auch für den Berliner Senat: Das Vorkaufsrecht als eine Handhabe gegen drohende Gentrifizierung in Milieuschutzgebieten ist damit vorerst vom Tisch.
Der Fall hat weitreichende Bedeutung, weil damit erstmals höchstrichterlich zum Thema entschieden wurde und erst jetzt so etwas wie Rechtssicherheit herrscht. Im Kern geht es darum, ob bei einem Vorkauf auch mögliche Absichten des Erwerbers eine Rolle spielen. Ob der Bezirk also in einen geplanten Hausverkauf hineingrätschen darf, weil er unterstellt, dass der Käufer saftige Mieterhöhungen oder eine Aufteilung in Eigentumswohnungen plant.
Gerade diese Annahme war bislang immer die Basis des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten, das ja als Waffe gegen steigende Mieten gilt. Auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte das in zweiter Instanz so gesehen. Nun ist es generell misslich, in Rechtsgeschäfte einzugreifen auf Grund von Prophezeiungen, dieser oder jener möge vielleicht in Zukunft dieses oder jenes tun. Vor allem jedoch, das hat das Bundesverwaltungsgericht jetzt klargestellt, gibt der Wortlaut des Baugesetzbuches eine solche Auslegung gar nicht her.
Laut Vorschrift ist die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Kommune dann ausgeschlossen, wenn "das Grundstück entsprechend ... den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel ... aufweist." Das ist Präsens und kein Futur und lässt sich nach dem Urteil des Gerichts folgerichtig nur so verstehen, dass es auch in Milieuschutzgebieten maßgeblich "auf die tatsächlichen Verhältnisse" ankommt, während "mögliche zukünftige Entwicklungen nicht von Bedeutung sind". Heißt: Was ein Käufer anschließend mit dem Gebäude vorhat, ist für die Frage: Vorkauf ja oder nein? irrelevant.
Damit ist das kommunale Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten insgesamt - und nicht nur in dem zur Rede stehenden Einzelfall - abgeschossen und mausetot. Bemerkenswerterweise wird schon in einem Dokument des Bundesrates vom Dezember 2020 eingeräumt, "bei rein wörtlicher Auslegung" des BauGB sei das Vorkaufsrecht Makulatur. Aber Juristen - und Politiker - sind findige Leute. Widerspricht der Wortlaut dem politisch Gewünschten, hilft der "kreative Umgang" damit. Das Gesetz könne gar nicht gemeint haben, was es offensichtlich meint, es sei nur missverständlich formuliert, hieß es - was sich übrigens aus seiner Entstehungsgeschichte Mitte der 1980er Jahre "eindeutig belegen" lasse.
Passen die Gesetze nicht, werden sie eben passend gemacht? Aber nein, entgegnet das Bundesverwaltungsgericht hier vehement. Gerade mit der Entstehungsgeschichte des BauGB hat es sich ausführlich beschäftigt und findet daran nichts auszusetzen. Offensichtlich, so lässt sich zwischen den Zeilen lesen, hatte bei der Formulierung vor 35 Jahren niemand den Vorkauf als Mittel gegen Gentrifizierung groß auf dem Schirm. Eine mögliche Einschätzung aus heutiger Sicht, dass "allein eine den Wortlaut des Gesetzes berichtigende Interpretation zu einer als wünschenswert und sinnvoll erachteten Regelung führe", sei dabei sekundär, führt das Gericht aus: "Eine solche vor dem Hintergrund neuer Entwicklungen und drängender Probleme auf dem Wohnungsmarkt zu schaffen, ist Sache des Gesetzgebers."
Das bedeutet gleich zwei Klatschen auf einmal. Erstens dürften die bisherigen Vorkäufe praktisch allesamt rechtswidrig gewesen sein. Zweitens haben sich die Kommunen in ihrer Kreativität wohl übernommen und Rechte angemaßt, die lediglich Bundesregierung und Bundestag zustehen. Kein guter Tag für den Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt und auch kein guter Tag für Berlin, das mit seinem umstrittenen Mietendeckel schon im April spektakulär vor Gericht Schiffbruch erlitten hatte. Offen ist derzeit noch, ob die bisherigen Vorkäufe und Abwendungsvereinbarungen Bestand haben oder nach dem Grundsatzurteil jetzt ihrerseits juristisch angreifbar sind.