Das Vorkaufsrecht ist tot

Veröffentlicht in: Wohnen & Arbeiten | 0

Bundesverwaltungsgericht setzt Kommunen Grenzen

Schickes Häuschen! Es war einer der ersten Fälle, jetzt ist in der Heimstraße 17 die Kreuzberger Auslegung des Vorkaufsrechts gescheitert. Foto: ks

Im Kampf um bezahlbaren Wohnraum hat Berlin vor Gericht erneut eine schwere Niederlage einstecken müssen. Nachdem bereits im April der Mietendeckel gekippt wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig jetzt das kommunale Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten wesentlich eingeschränkt. Vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg galt es bisher als Mittel der Wahl, um böse Immobilienspekulanten auszubremsen. Die Folgen sind noch nicht absehbar: Bisherige Vorkäufe oder Abwendungsvereinbarungen bleiben wohl bestehen, neue dürfte es jedoch keine mehr geben.

Ausgangspunkt ist ein Streit um die Heimstraße 17 im Chamissokiez. Das hübsche Gebäude aus dem Jahr 1889 mit insgesamt 20 Mietwohnungen und zwei Gewerbeeinheiten sollte im Mai 2017 für rund drei Millionen Euro an eine Immobilienfirma verkauft werden. Tatsächlich jedoch schritt der Bezirk ein und nahm das Vorkaufsrecht zugunsten eines Dritten, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), wahr. Es war einer der frühen Fälle, die neue Waffe "kommunales Vorkaufsrecht" wurde gerade erprobt, 2017 kam sie in Kreuzberg insgesamt elfmal zum Einsatz und am Ende des Jahres war Baustadtrat Florian Schmidt berühmt.

Die Immobilienfirma wollte sich das nicht gefallen lassen, zog vor Gericht und erlitt am Verwaltungsgericht (13 K 724.17; 17. Mai 2018), vor allem aber am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (10 B 9.18; 22. Oktober 2019) zunächst krachende Niederlagen. Allerdings ließen die dortigen Richter wegen der "grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache" eine Revision zu. Und das Bundesverwaltungsgericht gelangte nun am 9. November (4 C 1.20) gerade zur entgegengesetzten Ansicht: Die Ausübung des Vorkaufsrechts in der Heimstraße war rechtswidrig. Dies bedeutet nicht nur eine Zurechtweisung der unteren Instanzen, sondern auch eine knallende Ohrfeige für Kreuzberg, Berlin und andere Kommunen, welche sich in der Vergangenheit dieses Mittels bedienten.

Juristisch gesehen geht es dabei um die Paragraphen 24 und 26 des Baugesetzbuches. § 24 regelt die Anwendung des gemeindlichen Vorkaufsrechts auch in Milieuschutzgebieten, § 26 nennt Fälle, in denen es nicht ausgeübt werden darf. Der entscheidende Satz § 26 Nr. 4 BauGB lautet: "Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist ausgeschlossen, wenn ... das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel ... aufweist." Um diesen einen Satz kreisen umfangreiche juristische Interpretationen und Spekulationen.

Verfechter des Vorkaufsrechts - und auch die Vorinstanz OVG - haben stets so argumentiert, dass dabei auch künftige Absichten des Erwerbers zu berücksichtigen seien, also die Vermutung, er werde in absehbarer Zeit teuer renovieren, Mieten erhöhen oder Wohnungen separieren und einzeln verkaufen. Dass das Grundstück also zwar nicht gegenwärtig, wohl aber künftig nicht mehr "entsprechend den Zwecken der städtebaulichen Maßnahme" (gleich Milieuschutzgebiet) genutzt werde. Allein auf diese Vermutung und das damit im Widerspruch stehende "Wohl der Allgemeinheit" (§ 24 BauGB) stützt sich der gesamte kommunale Vorkauf.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dem jetzt engagiert widersprochen. In Milieuschutzgebieten darf ein Vorkauf von der Gemeinde "nicht auf der Grundlage der Annahme ausgeübt werden, dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde", heißt es wörtlich. Maßgeblich seien ausschließlich die "tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung". Die bloß unterstellte Absicht eines Erwerbers sei dabei irrelevant. Das bezieht sich soweit konkret auf die Heimstraße 17, wo niemand irgendwelche "Missstände oder Mängel" geltend machte - aber es ist unschwer erkennbar, dass das kommunale Vorkaufsrecht als Waffe damit nicht mehr taugt.

Unter Juristen wird nun diskutiert, ob der heikle Satz § 26 Nr. 4 BauGB überhaupt in Milieuschutzgebieten gilt, ob er vom Gesetzgeber damals, in den 1980er Jahren, nicht eigentlich ganz anders gemeint gewesen, ihm die konkrete Formulierung also "misslungen" sei und deshalb anders als im BauGB vorgesehen entschieden werden müsse. Das Bundesverwaltungsgericht tritt auch solchen Spekulationen entgegen. Eher schimmert ein anderer Unterton durch: Dass das Vorkaufsrecht im BauGB nicht unbedingt als Mittel gegen Verdrängung und Gentrifizierung konzipiert worden ist und dass es eher missbraucht wird, wenn man es als Brückenkopf einer künftigen Gemeinwohlwirtschaft versteht - was immer damit im einzelnen auch gemeint sein mag. Die Konsequenz wäre, sich nach anderen und besseren Instrumenten zur Senkung des Mietniveaus umzusehen.

"Das Urteil ist für uns und unsere gängige Vorkaufspraxis sehr erfreulich", hatte Baustadtrat Florian Schmidt damals nach dem ersten positiven Gerichtsurteil zur Heimstraße triumphiert: "Ein wichtiger Baustein der Politik gegen Verdrängung kann nun noch konsequenter zur Geltung kommen." Nun, nachdem Leipzig ganz anders entschieden hat, twitterte er deutlich enttäuscht: "Die heutige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten ist ein herber Schlag im Kampf gegen die Spekulation mit Wohnraum und gegen die Verdrängung von Menschen aus ihrer Nachbarschaft - nicht nur in Berlin sondern auch in allen anderen Städten."

Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) schrieb, er sei fassungslos. Der Beschluss sei "eine Katastrophe", nicht nur für die Mieter in Berlin, sondern auch bundesweit. Als Instrument zur Sicherung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung sei das Vorkaufsrecht damit praktisch tot. Für die oppositionelle CDU kommentierte Kai Wegner im Abgeordnetenhaus nicht ohne Schadenfreude: „Nach dem Mietendeckeldesaster ist der Paukenschlag aus Leipzig die nächste Totalblamage für Rot-Rot-Grün." Und die Kreuzberger Bezirksverordnete Marlene Heihsel (FDP) twitterte lustig: "Eine Frage hab ich: Was macht Florian Schmidt jetzt in den nächsten 5 Jahren als Stadtrat? Also, außer sein Buch umzuschreiben."

Nun ja, Florian Schmidt hat schon noch genügend zu tun. Die neue Bundesregierung kann das Baugesetzbuch ja entsprechend ändern. Fragt sich nur, wie lange das dauert.

Info: Sehr aufschlussreich hierzu rbb24: Was das Urteil zum Vorkaufsrecht für Berlin bedeutet