Gefährliches Slalomfahren für Radfahrer ist angesagt
Der Mehringdamm ist immer wieder für eine Überraschung gut. Erst Anfang Juli haben Bündnis Stadtnatur in K61 und die Berliner Naturfreunde genau 457 Unterschriften übergeben, um gegen den Kahlschlag und die weitgehende Zerstörung der alten, dschungelartig bewachsenen Hochbeete im Zuge der Erneuerung des Radwegs zu protestieren. Gestern wurde nun ein weiterer Baum gefällt - eine laut giessdenkiez.de 114-jährige Silberlinde vor der Hausnummer 45. Stimmen die Daten des Portals, war es der älteste und damit vermutlich ökologisch wertvollste Baum des ganzen Abschnitts zwischen Bergmann- und Gneisenaustraße.
Zwei Mitarbeiter des Straßen- und Grünflächenamtes erteilen vor Ort freundlich Auskunft. Es habe am Vortag ein Schadensereignis gegeben, heißt es. Darauf sei ein Gutachter angerückt und habe eine Restwanddicke des Baumes von nur noch zehn Zentimetern festgestellt: "Der war faul!" Als Beleg wird auf den am Straßenrand verbliebenen Stock verwiesen. Von den Öko-Guerilleros vom Bündnis Stadtnatur, die sich sonst todesmutig jeder Motorsäge in den Weg stellen, ist an diesem Nachmittag nichts zu sehen.
Neuigkeiten gibt es auch von dem wegen der Bauarbeiten quer über den Bürgersteig verlegten Radweg. mogblog hatte Anfang Mai beklagt, dass die Verkehrsführung gerade in Corona-Zeiten eher problematisch scheint und Fußgängern kaum mehr genug Platz zur Verfügung steht, zumal die Fahrradfahrer oft recht schnell vom Kreuzberg heruntergeschossen kommen. Das Foto rechts wurde am Mittwoch, 4. August, vorn an der Ecke zur Gneisenaustraße aufgenommen. Ob nun mit oder ohne Hund - Fußgänger kommen da praktisch nicht mehr durch. An Kinderwagen, Rollator oder auch nur an volle Einkaufstauschen wagt man gar nicht zu denken. An Abstand auch nicht.
Offenbar hat das nun auch das Bezirksamt bemerkt - nicht zuletzt wohl angesichts der nach langer Corona-Pause aufblühenden Außengastronomie. Überraschung: Seit heute gilt eine Totalsperre in Höhe der Nummer 49. Wer aus Richtung Platz der Luftbrücke angeradelt kommt, muss jetzt scharf links abbiegen und wird mittels einer neuen gelben Markierung auf den alten, reichlich schadhaften Radweg direkt am Straßenrand umgeleitet. Damit bleibt der Fußweg von hier bis zur Gneisenaustraße fahrradfrei. Theoretisch.
Tatsächlich entsteht für Fahrradfahrer eine sehr gefährliche Situation. Wer die Strecke nicht kennt und dort zum ersten Mal unterwegs ist, kann die Fülle der Informationen in der Kürze der Zeit kaum bewältigen. Probieren wir mal! Zügig kommen wir vom Kreuzberg heruntergerollt. Als erstes sehen wir die rot-weiß gestreifte Barriere, die ganz blöd im Weg steht und auf uns zukommt wie eine Wand. Ein offener Kanaldeckel oder ein Schlagloch im Trottoir? Rechts drum herum? Links herum? Der gelb markierte Radweg scheint ja dahinter weiterzugehen. Oder doch lieber ...
Wir sind unsicher. Ah nee ... Endlich entdecken wir das unauffällige Fahrradschild mit dem Pfeil nach links. Also doch abbiegen! Flüchtig kommt uns noch in den Sinn, dass die aufgemalte Spur mit den zwei scharfen Kurven sicher nicht der Weg wäre, den wir selbst nehmen würden. Aber da brauchen wir schon unsere gesamte Konzentration, um nicht gegen einen der beiden gefährlich eng beieinander und zudem nahe an der Barriere stehenden Metallpfosten zu donnern. Hätte auch mal jemand irgendwelche Warnlampen anbringen können, denken wir noch. Sind die eigentlich nicht bei solchen Baustellen vorgeschrieben? Egal.
Ziemlich anspruchsvoll, wie man sieht. Im realen Leben läuft das natürlich ganz anders ab. Vielleicht erinnert sich jemand an die Körtestraße? Die dortige Sperre für Autos ließ sich eine Zeit lang relativ leicht umfahren - weshalb sich zum Leidwesen des Bezirks auch kaum jemand daran hielt. Nun, der Mehringdamm beweist es: Radler sind keine besseren Menschen als Autofahrer. Sie verhalten sich gerade so: Ein Großteil von ihnen fährt einfach geradeaus weiter und an der aufwändig inszenierten Barriere vorbei.
Das macht die Lage vollends unübersichtlich. Bis hin zur Gneisenaustraße ist jetzt ein Bereich entstanden, von dem Fußgänger mit Recht annehmen dürfen, er sei für sie reserviert. Radfahrer hingegen benutzen ihn weiterhin und fühlen sich dabei durch die alten, bisher nicht entfernten gelben Markierungen bestätigt. Ergebnis: Ein böser Konflikt, der Unfälle geradezu provoziert.
Update am 21.08.2021: Die Totalsperre für Fahrradfahrer aus Richtung Platz der Luftbrücke wurde inzwischen wieder abgebaut. Vielleicht hat das Bezirksamt ja mogblog gelesen oder noch einmal gründlich nachgedacht. Damit ist ein möglicher Unfallschwerpunkt zwar ausgeräumt, auf dem Gehweg, der kein Gehweg mehr ist, geht es aber nun wieder genauso eng und chaotisch zu wie zuvor.
Zu der Anfang August gefällten Linde berichtete Nicolas Meyer vom Straßen- und Grünflächenamt am 19. August im Umweltausschuss: "Es war wirklich ein schöner Baum!" Wegen einer "massiven Fäule am Bodenansatz" drohte die Linde jedoch auf dem Mehringdamm zu stürzen: "Wir mussten sofort handeln!" Solche Notfälle seien allerdings "schwierig zu kommunizieren". Von den seit 2000 im Bezirk neu gepflanzten Bäumen seien lediglich 34 Prozent gesund, 24 Prozent wurden bereits wieder gefällt.
Stefan Jandl
Die grandiose, sehr bewunderte und sehr alte Silberlinde, raumgreifend den Mehringdamm beherrschend, war schon Jahre zuvor durch unsachgemäßen Astschnitt eines weitauskragenden starken Astes im unteren Kronenbereich, der dem Baum empfindlichen Schaden zufügte, verstümmelt worden. Zuletzt war die Linde deutlich geschwächt worden, indem im näheren Wurzelbereich ein heißer Asphaltbelag aufgebracht worden war. Ich schickte damals einen hilfesuchenden Hinweis an das Grünflächenamt Kreuzberg und die “grüne” Bezirksbürgermeisterin mit Bitte um sofortiges Eingreifen, Wässern des Baumes und Wiederherstellung des Ursprungszustandes. Vergebens – Ich wurde lediglich korrigiert, da ich im E-Mail von Aufbringung von Teer statt Asphalt geschrieben hatte. Zuletzt konnte ich eine deutliche Pilzkonsole an dem erwähnten früheren Astabschnitt erkennen und rechnete im Juli bereits mit dem Schlimmsten.
RIP Tilia tomentosa, 114 Jahre alt, in unsrer Erinnerung!
Stefan Antretter
Soeben habe ich mir den übrig gebliebenen Baumstumpf angesehen. Von einer Restwanddicke von 10 cm ist an dem Baumstumpf nichts zu erkennen. Soweit dieser Baumstumpf vom Amt, wie erfolgt, als Beweis für eine Restwanddicke von 10 cm herangezogen wird, ist das ein untauglicher Beweis. Sehr schade um den Baum. Aber was kann man gegen einen Gutachter schon ausrichten und was gegen die Behörde?
Lothar Eberhardt
Leider sagte das Baumgutachten, das wir eingesehen haben vom Bündnis Stadtnatur in K61, was ganz ganz anderes …
Gutachter sinngemäß: “Wir empfahlen die Fällung und waren überrascht, in welch schlechtem Zustand der Baum wirklich war.” Oben war er mit Pilz befallen etc.
Eine Frage ist in dem Zusammenhang: Wie steht es um das Baummanagement seit Jahren in FHXB? Wir empfehlen den Baumreport … da schneidet FHXB nicht optimal ab. Geld fehlt für Baumpflege – das ist ein Sach-Zwang-Argument … und viele weitere Probleme. Klimawandel, heiße Sommer, Wasser fehlt, Bauscheibenpflege …
Hier geht es zum Baumreport: https://www.bund-berlin.de/service/publikationen/detail/publication/bund-baumreport-berlin-2012-2019/