Unterwegs nach Bullerbü

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Kiezblock-Initiativen und Bezirk besprechen die Details

In großen Teilen des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg gibt es bereits Kiezblock-Initiativen. Foto: ks

Auf einem großen Tisch liegt eine Karte des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und immer wieder beugt sich jemand über diese Karte und trägt mit einem roten Marker ein neues Areal ein. Luisenstadt zum Beispiel. Oder Reichenberger Kiez. Autofreier Wrangelkiez. Alte Jakobstraße. Gneisenaukiez. Überall dort gibt es bereits Initativen für einen Kiezblock - ein Stadtviertel ganz ohne automobilen Durchgangsverkehr. Ende August trafen sich Vertreter der Initiativen in der Adlerhalle auf dem Dragonerareal, um sich miteinander zu vernetzen und mit Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) und Felix Weisbrich, dem Chef des Straßen- und Grünflächenamtes (SGA), das weitere Vorgehen abzusprechen.

Der Bergmannkiez wird gegenwärtig schon heftig nach den Vorstellungen des Bezirksamts umgestaltet, im Großbeeren- und Gneisenaukiez werden fleißig Unterschriften gesammelt, besonders viel Sachverstand hat die Initiative "Autofreier Wrangelkiez" angehäuft, die bereits vor Jahren ganz autonom entstanden ist. Bei anderen Kiezblocks spielten die Temporären Spielstraßen vom letzten Sommer offenbar eine große Rolle. Dabei reichen die Hoffnungen häufig weiter, als nur den schnellen Durchgangsverkehr, sporadische Raser, Baustellen-Lkws oder Partytouristen auszubremsen. Der Kiezblock dient auch als Abkürzung für den Wunsch, überhaupt erst ein Kiez zu werden: "Wir haben nicht so ganz das Kiezgefühl", formulierte es ein Teilnehmer.

Da ist es bis zu dem von den Grünen versprochenen "Bullerbü" nicht allzu weit. "Miete, Klimaschutz, Verkehrswende - das trifft sich im Kiezblock", sagte Bürgermeisterin Monika Herrmann. Für sie ein Zeichen, dass "wir uns nicht von irgendjemandem etwas vorschreiben lassen", dass die Anwohner selbst aktiv werden, angeleitet von Changing Cities, und damit das künftig noch besser funktioniert, will der Bezirk nun sogar "eine Art Handbuch" entwickeln.

SGA-Chef Felix Weisbrich versteht die Kiezblock-Bewegung als entscheidendes Instrument für eine flächenhafte Verkehrsberuhigung: "Dazu brauchen wir die Zivilgesellschaft!" Laut repräsentativen Umfragen fänden immerhin zwei Drittel der Bewohner des Bezirks Quartiere ohne parkende Autos und mit mehr Grün "äußerst positiv, positiv oder eher positiv". Die nötigen Beschlüsse durch die BVV seien vorhanden: "Das Ding ist politisch sozusagen gelutscht!"

Im Bezirk gibt es derzeit zehn unterschiedlich weit gediehene Kiezblock-Initiativen, dazu kommen noch angrenzende:

  • Bergmannkiez
  • Friedenstraße
  • Großbeerenkiez
  • Samariterkiez
  • Ostkreuz
  • Autofreier Wrangelkiez
  • Luisenstadt / Lausitzer Platz
  • Reichenberger Kiez
  • Graefekiez
  • Gneisenaukiez
  • Viktoriakiez
  • Gleisdreieck West
  • Alte Jakobstraße
  • Engelbecken

Stellt sich nur noch die Frage, wie man möglichst schnell mit einem möglichst standardisierten Verfahren zu möglichst vielen Kiezblocks kommt. Am Anfang steht natürlich der Einwohnerantrag mit mindestens 1000 Unterschriften von Bezirksbewohnern, dem von der Bezirksverordnetenversammlung zugestimmt werden muss. Weisbrich bat darum, bei der Gründung von Initiativen auf die "Lebensweltlich orientierten Räume" im Bezirk Rücksicht zu nehmen. Anschließend erläuterte er die einzelnen Planungsschritte:

  • Verkehrstechnische Bewertung: Zunächst ist zu klären, ob Straßen des überörtlichen Verkehrsnetzes betroffen sind. Diese gelten als Verbindungs-, nicht als Erschließungsstraßen, zuständig ist die Senatsverwaltung für Verkehr. Ein Kiezblock ist hier ausgeschlossen. Um das zu ändern, müsste die Straße heruntergestuft werden. Dazu sind in einem Gutachten Gefährung, Verkehrsmenge und Verlagerungseffekte zu bewerten. Gegen eine solche Herabstufung kann gerichtlich vorgegangen werden.
  • Straßenkonkrete Umsetzungsplanung: Einwohneranträge sind in der Regel nicht konkret und fordern lediglich allgemein Tempo 30, keinen Durchgangsverkehr etc. Aufgabe des Straßen- und Grünflächenamtes ist es, passend zu den Örtlichkeiten daraus eine konkrete Planung zu entwickeln. Weisbrich demonstrierte am Beispiel Bergmannkiez, wie das aussehen könnte - mit Fahrradtrasse, Pflanzkübeln, Einbahnstraßensystem und Anliegerstraßen, evtl. auch Diagonalsperren oder versenkbaren Pollern: "Das ist das, was wir in allen diesen Kiezblocks tun müssen!"
  • Beteiligungsmethode: Die Entscheidung für einen Kiezblock trifft die BVV. Nach dem Verständnis des Bezirks, so Weisbrich, sollen die betroffenen Bürger jedoch nicht nur informiert, sondern es soll ihnen auch eine Mitwirkung angeboten werden, "damit sich die Leute mitgenommen fühlen". Vorgesehen sind nach dem Vorbild Bergmannstraße Repräsentativ-Befragung per Post, Realbeteiligung (temporäre Simuation z.B. einer Straßensperrung) und Online-Umfrage. Monika Herrmann: "Wir diskutieren nicht mehr, ob - wir diskutieren nur noch, wie. Dann ist das auch vorbei irgenwann, dann ist fertig!"
  • Umsetzungsschritte: Changing Cities verlangt zwei Kiezblocks pro Bezirk und Jahr. Im Gegensatz dazu schlägt Weisbrich vor, die Kiezblocks nicht nacheinander, sondern schrittweise, aber flächendeckend umzusetzen. Am Beginn stehen - wie im Modellkiez Bergmannstraße - leicht zu übersehende Durchfahrtsverbote und Tempolimits. Dass sich zunächst wohl kaum einer daran halten wird, stört den SGA-Chef nicht: "Die Beschilderung ist nicht nur nice to have, sondern ein wichtiger erster Schritt. Wir meinen es wirklich ernst. Das Schild ist das Zeichen, die anderen Schritte kommen zwangsläufig."
  • Evaluation: "Fortlaufende Auswertung, das machen wir jetzt immer so. Wir machen Schritte und ob das dann richtig ist, das haben wir bei den Pop-Up-Radwegen gelernt, das werden wir sehen. Etwas hinstellen, Testlauf machen, geht das? Wenn es geht, machen wir weiter. Dann verstetigen wir, dann machen wir das dauerhaft. Das ist die Logik, die wir seitdem entwickelt haben." Eventueller Nachbesserungsbedarf wird eingearbeitet, außerdem ist geplant, eine Dokumentation als Handreichung für andere Bezirke anzufertigen.
  • Finanzierung: Verkehrsrechtliche Anordnungen, Schilder, Gehwegvorstreckungen, Poller, Schwellen und Gutachten sind natürlich nicht umsonst zu haben. Wird ein Kiez aber wirklich umgekrempelt, kommen größere Summen ins Spiel. Allein für die Bergmannstraße würden Entsiegeln, grüne Infrastruktur und Regenwassermanagement rund 11 Millionen Euro kosten, schätzt Weisbrich: "Wenn die Aufgabe groß ist, hilft es ja nicht, zu meckern und zu sagen: Das wird alles nichts. Wir machen uns auf den Weg!"