Massives Fischsterben

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... im Landwehrkanal, weil es endlich geregnet hat

Tote Weißfische und Aale im Urbanhafen. Foto: ks

Es stinkt! Im Sommer müffelt es am Landwehrkanal ja häufiger ein bisschen, aber am Montagmittag ließ sich die Geruchslage rund um den Urbanhafen bei aller Höflichkeit nur mit diesen Worten beschreiben: Es stinkt! Es stank so gewaltig nach totem Fisch, eine so üble Dunstwolke hatte sich über dem kraftlos dahindümpelnden Wasser breit gemacht, dass der Autor noch Stunden nachher das Gefühl hatte, den widerwärtigen Modergeruch in Nase und Klamotten gar nicht mehr loszuwerden.

Der Grund: Im Landwehrkanal und vermutlich auch in den angrenzenden Kanälen hat es am Sonntag ein massives Fischsterben gegeben. Bei rbb24 war von "hunderten Fischen" die Rede, aber nach allem, was da allein am Urbanhafen tot im Wasser herumtrieb, sind es Tausende. Ein böser Anblick: jede Menge Weißfische mit den Bäuchen nach oben, sehr kleine, aber auch größere, dazu ein paar schwarze Aale, dazwischen Müll und an der Wasseroberfläche eine leicht schillernde, ekelerregende Soße - eben der übliche Inhalt der Berliner Kanalisation.

Das Geschehen lässt sich leicht rekonstruieren: Nach sechs Wochen Trockenheit setzte am Freitag heftiger Regen ein, nicht übermäßig, aber in Tempelhof immerhin 15 Millimeter. Für solche Mengen ist die Berliner Kanalisation nicht gebaut: Also donnerten die Regenmassen durch die unterirdischen Kanäle, prompt liefen diese über - und ab mit der dreckigen Brühe in die Vorfluter, will sagen: ungeklärt in den langsam fließenden Landwehrkanal. Dort verbrauchen Bakterien beim Abbau des organischen Materials - Lindenblüten, dürre Blätter, menschliche Fäkalien - ausgesprochen viel Sauerstoff, der nun den Fischen fehlt. Folglich ersticken sie.

"Das Phänomen ist nicht neu", so Björn Röske vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Spree-Havel gegenüber dem Tagesspiegel. Genauer gesagt, ist es schon seit einigen Jahrzehnten bekannt. Nach starken Regenfällen kommt es im Landwehrkanal im Sommer immer wieder zu dramatischen Fischsterben. Allein 2017 wurden die Fische tonnenweise aus dem Kanal geholt. Groß gestört hat das offenbar bisher niemanden. Jetzt wollen die Berliner Wasserbetriebe bis zum Jahr 2030 mit einem umfangreichen Programm Rückhaltebecken und dazugehörige Rohrleitungen vergrößern, so der Tagesspiegel weiter. Nun, bis dahin ist noch viel Zeit.

Währenddessen sammeln Beschäftigte der Umweltverwaltung am Urbanhafen mit einem Kescher tote Fische ein. Der eine oder andere Aal ringelt sich noch, vielleicht ist es aber auch nur der Wellenschlag. "Es stinkt halt", kommentiert ein Arbeiter gleichmütig. "Aber das ist jedes Jahr so. Das sind jetzt erstmal die kleinen, die oben schwimmen. Das geht die nächsten Tage bestimmt noch weiter, die dicken Brocken kommen noch. Und das Belüftungsschiff ist derzeit auch kaputt." Allein bis Montagabend, so Derk Ehlert von der Senatsumweltverwaltung, wurden zweieinhalb Kubikmeter tote Fische aus dem Kanal geholt.

Noch mehr tote Fische im Landwehrkanal (zum Vergrößern anklicken!). Fotos: ks

Kommentar: Absolut größtes Ärgernis

Der Autor hatte das Vergnügen, einige Jahre seines Lebens als Lokaljournalist in Baden-Württemberg zuzubringen. In den kommunalen Gremien dort ging es neben Bausachen und der Frage, was sich nun ins Ortsbild einfügt oder nicht, erstaunlich oft um Unterirdisches: um die Kanalisation und die nötigen Regenüberlaufbecken (RÜB). Millionen Euro, die damals noch D-Mark hießen, wurden im Untergrund vergraben, um die sommerlichen Wolkenbrüche aufzufangen und anschließend geordnet über die Kläranlage abzuleiten. Keine Gemeinde ohne ein eigenes RÜB und manche Großstadt war auf ihre unterirdischen Gewölbe so stolz, dass sie darin sogar Foto-Shootings veranstaltete.

Nicht so in Berlin! Da genügt ein Sommerregen von eher bescheidenen 15 Millimetern - und das ist im Vergleich zu einem ausgewachsenen Wolkenbruch gar nichts -, damit die Kanäle überquellen und, Entschuldigung, die pure Scheiße an den Kläranlagen vorbei in den Landwehrkanal fließt. Und wenn jetzt Klimawandel und zunehmende Versiegelung als Argumente angeführt werden: Das Problem ist keinesfalls neu. Schon um 1950 gab es regelmäßig Sommergewitter von mindestens 30 Millimetern. Eine Stadtverwaltung, die ihr Geschäft versteht, hätte schon vor Jahrzehnten reagieren und ein Abwassersystem errichten müssen, das solche Mengen beherrscht.

Nicht so in Berlin! Da treiben jeden Sommer die toten Fische im Kanal, seit Jahren wird ergebnislos "an einer Lösung gearbeitet" und zur Beruhigung heißt es dann, die Schifffahrt werde durch die Kadaver jedenfalls "nicht beeinträchtigt". Und das alles nur deshalb, weil eine Stadt nicht in der Lage ist, ihre Ausscheidungen hygienisch abzuführen! Mit Blick auf den Urbanhafen müssen wir übrigens korrigieren: "Absolut größtes Ärgernis" ist nicht der asphaltierte Parkplatz am Krankenhaus, sondern der Kanal selbst, der regelmäßig im Sommer zu einer übel riechenden Kloake verkommt. Wer das Problem an der Wurzel packen will, muss nicht hier oder dort ein paar Blümchen pflanzen, sondern dafür sorgen, dass man in einem sauberen Landwehrkanal möglichst bald schwimmen kann.


Update 23.06.2023: Laut Tagesspiegel wurden bis Donnerstag fünf Kubikmeter tote Fische entsorgt. Besonders pikant: Das rettende Belüftungsschiff war nach Recherchen der Zeitung wegen einer peinlichen Verwaltungspanne in diesem Jahr noch nicht unterwegs.

3 Antworten

  1. Helge Großklaus

    Mit Sicherheit waren es Tausende, wenn nicht sogar Zehntausende. Habe nach dem Fischsterben in den letzten Jahren auch schon öfter ein Rattensterben beobachtet, bin mir aber über den Zusammenhang nicht sicher. Ich vermute, dass die Ratten auf der Suche nach einer schnellen Mahlzeit ins Wasser gehen und dort ersaufen. Unsere Kajaktouren haben wir am Sonntag in einer Hauruckaktion Richtung Spree verlegt, dort waren die Verhältnisse deutlich besser. Im Osthafen gibt es ein großes Rückhaltebecken, was gut zu funktionieren scheint.

  2. Jippi

    Sehr treffender Artikel! Die Missstände sind hinlänglich bekannt und Niemanden interessiert es. Auch in den Karpfenteich in Treptow floss die ungefilterte Kloake. Einfach nur traurig und enttäuschend!

  3. N.

    Im Karpfenteich im Treptower Park ist ebenfalls alles gestorben. Tausende Fische, auf jeden Fall. Ich bin den gesamten Teich Sonntag abgegangen und es hat nichts mehr gelebt, nur ein paar Krebse noch. Ich habe dies beim Bezirksbuergermeister in der Sprechstunde bei Herrn Igel am Montag geschildert. Man wusste von nichts und wollte sich schlau machen – heute erhielt ich die Mail – der Senat ist zustaendig.
    So wie das ablaeuft, “will” niemand zustaendig sein. Ich bin sehr wuetend, man muesste den Bezirk und den Senat anzeigen wegen Verstoss gegen das Tierschutzgesetz. Sehenden Auges tausende tote Fische in Kauf zu nehmen, immer und immer wieder … als das Aquarium im Hotel platzte, grosses Gezeter … aber unsere Berliner Fische in den Kanälen und dem Karpfenteich sind wohl nichts wert.