Noch einmal Glück gehabt

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Umgestürzte Linde am Boxhagener Platz wirft Fragen auf

So endet ein stolzer Baum: Am Donnerstag wurden die zusammengesägten Reste der 115 Jahre alten Linde abgefahren. Foto: ks

Das exakte Geräusch ist nicht überliefert. Erst sei ein lautes Knacken zu hören gewesen, heißt es, und als die mächtige Linde dann rund 20 Minuten später auf den Rasen donnerte, muss es mächtig gekracht und gescheppert haben. Dabei schrammte der Bezirk möglicherweise haarscharf an einem schlimmen Unglück vorbei: Kurze Zeit vorher saßen auf der Wiese noch Dutzende Menschen in der Sonne. Aber ein wachsamer Besucher hatte Alarm geschlagen und als die Polizei gerade dabei war, das Umfeld abzusperren, kippte der Baum auch schon um.

Am Montagnachmittag ist am Boxhagener Platz in Friedrichshain die große, alte Linde in fünf Metern Höhe abgebrochen und umgestürzt. Der prächtige, als Naturdenkmal ausgewiesene Baum prägte den Platz und war 115 Jahre alt, hatte also in jungen Jahren noch den Ersten Weltkrieg erlebt. Es handelte sich um eine sonst als Allee- und Parkbaum eher selten angepflanzte "Moltke-Linde" (Tilia x moltkei), vermutlich eine um 1880 in einer Berliner Baumschule entstandene Kreuzung zwischen der Amerikanischen und der Hänge-Silberlinde.

Nach Darstellung des Bezirksamts wurde der Baum erst im Sommer 2020 eingehend untersucht. Dabei habe man "Pilzbefall durch den Lackporling" (ein holzzersetzender Porenpilz) und "fortgeschrittene Fäule" festgestellt, außerdem waren einige Äste abgestorben. Möglicherweise hat der Gutachter damals jedoch einen Fehler gemacht und die verbliebene Restwandstärke falsch eingeschätzt. Angeblich haben auch Anwohner das Grünflächenamt dazu gedrängt, den Baum zu erhalten. Zur Herstellung der Verkehrssicherheit wurde damals lediglich die Krone eingekürzt. Auch in der Folgezeit, so das Bezirksamt, sei der Baum "regelmäßig begutachtet" worden.

Umso unverständlicher natürlich, dass die Linde trotzdem mitten auf einer dicht bevölkerten Wiese ohne größere Windbewegung einfach so in sich zusammenbrach. Das rief jetzt auch die Politik auf den Plan. So wollte Michael Heihsel (FDP) am Mittwoch in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) genauer wissen, warum die Linde "nicht vorab gefällt oder zumindest abgesichert" worden sei - wo man doch von ihrem morschen Zustand wusste.

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) berief sich zunächst auf die absehbare Gegenwehr von Aktivisten und wich dann auf die Trockenheit der vergangenen Jahre aus, welche den Bäumen eben nicht gut bekomme. Als Sebastian Forck (SPD) irritiert nachhakte, stellt sie aber schon klar, dass Bäume im Bezirk, von denen eine Gefahr ausgeht und die nicht mehr zu retten sind, gefällt werden - "auch unter Protest der Bevölkerung". Die ursprüngliche Frage, warum das gerade in diesem Fall nicht geschehen sei, blieb offen. FDP-Mann Heihsel will nun die Akten einsehen.

Vor Ort war am Donnerstag inmitten chillender Menschen immer noch so etwas wie ein Schock zu spüren. Mütter mit Kindern und andere Passanten blieben stehen, nachdenklich, traurig. Von dem einst so stolzen Baum ist nur noch der fünf Meter hohe Stamm übrig - so mächtig, dass ein erwachsener Mann viermal die Arme ausstrecken muss, um herumzureichen. Auf der Sonnenseite tummelten sich Feuerwanzen, am Fuß hatten Anwohner eine weiße Kerze platziert und ein Schild: "Mein Freund der Baum ist tot." Ein paar Meter weiter war eine Gartenbaufirma gerade dabei, die abgebrochenen Teile mit Greifarmen auf zwei Lastwagen zu verladen.

Apropos: Wer denkt bei einer Linde nicht an ... Genau. Bitte schön!