Kreuzberger Bezirksparlament scheitert auch im zweiten Anlauf
Nein, langweilig war es eigentlich nicht. Eher wie ein experimentelles Theaterstück. Seltsame Wesen stießen seltsame Laute aus, als versuchten sie, sich mit zugehaltenen Nasen unter Wasser verständlich zu machen. Ein Cursor in Pfeilform kroch erratisch über den Bildschirm, klickte hier, klickte dort, bis er einen "persönlichen Echotest" auslöste: "Pling!" Und mitten im weißen Rauschen des Weltalls ertönte plötzlich laut und klar eine Stimme: "Ich versteh's nicht! Ich hab das gestern doch alles probiert!"
So fühlt es sich an, wenn das Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg tagt. Sehr unterhaltsam, aber nicht sonderlich zielführend. Es ist der Fluch der Digitalisierung. Vielleicht ist aber auch die FDP daran schuld. Die hatte schon im April digitale Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung beantragt und dabei übersehen, dass das für die viel bemühte "Kreuzberger Mischung" hiesiger Freizeitpolitiker*innen unter Umständen eine Überforderung darstellen könnte. Bei einem exotischen Treffen Ende November bei Null Grad auf dem Sportplatz Lohmühleninsel wurde eine entsprechende Änderung der Geschäftsordnung beschlossen. Ein erster Versuch am 9. Dezember scheiterte allerdings krachend.
Umso gespannter waren alle auf den zweiten Versuch - zumal drei Abwahlanträge gegen den viel bewunderten, viel gescholtenen Stadtrat Florian Schmidt auf der Tagesordnung standen. Aber alles war vergebens. Es dauerte vier Tagesordungspunkte, bis Sitzungsleiterin Regine Sommer-Wetter (Linke) überhaupt mitbekam, dass draußen in der weiten Welt vom Gespräch im virtuellen Tagungsraum wenig zu hören war. Ein Bezirksparlament ohne Öffentlichkeit geht natürlich gar nicht. Also tat der Ältestenrat das, was er am liebsten tut: Er zog sich zur Beratung zurück.
Währenddessen lautes Rauschen. Der Live-Stream stoppt, startet, stoppt. Parallel berichtet Hannah Sophie Lupper (SPD) auf Twitter aus dem ungehörten Inneren der Polit-Blase: "Die digitale #bvvxhain klappt wieder nicht so richtig. Während der Sitzungsunterbrechung unterhalten sich aber alle über ihre Haustiere." Im Live-Stream Stimmengewirr. Ganz deutlich: "Hat noch irgendjemand einen Schwank aus seiner Jugendzeit zu erzählen?" Einer antwortet: "I don't regret anything!" Man wollte ja immer schon wissen, worüber Bezirksverordnete reden, wenn sie unter sich sind.
Jemand lässt etwas fallen, grunzt, plötzlich werden die Stimmen klarer, verständlicher. Mindestens alle zwei Monate müsse eine Sitzung stattfinden, heißt es. Alle reden durcheinander. "Regine, du musst dein Mikrofon einschalten!" Dann sagt Regine Sommer-Wetter - und zum ersten Mal ist sie wirklich gut zu hören: "Wir haben uns verständigt, dass wir die Sitzung für heute beenden." - "Aber jetzt funktioniert es doch!", schreit einer dazwischen. Andere stimmen zu. Zu spät. Unerbittlich bricht Sommer-Wetter die Videokonferenz ab: "Schönen Abend!" Es ist 18:58 Uhr. Kurz darauf twittert Timur Husein (CDU): "#xhain macht sich lächerlich". Damit hat er wohl recht.