... das missliche Verkehrsschild in der Grimmstraße?
Erinnert sich jemand? Dieses Schild mit dem weißen Fahrrad im blauen Kreis und der Ergänzung "Anlieger frei" steht seit Juli 2020 in der Grimmstraße und weist darauf hin, dass es sich um eine Fahrradstraße handelt. Mit dem Auto darf nur noch fahren oder parken, wer dort wohnt oder etwas zu besorgen hat. Allerdings hat das Bezirksamt dabei eine Kleinigkeit übersehen: Die Grimmstraße ist die Hauptzufahrt zu Kreuzbergs einzigem Krankenhaus, dem Klinikum am Urban, für Ärzte, Pflegekräfte, Kranke und den Lieferverkehr einer Einrichtung mit 614 Betten und jährlich 65 000 Patienten. Und für alle gilt: Sie sind in der Grimmstraße keine Anlieger.
Besucher und Beschäftigte müssen nun entweder die Beschilderung ignorieren oder zeitaufwändige - und übrigens auch umweltbelastende - Umwege durch verkehrsberuhigte Zonen in Kauf nehmen. Eigentlich sind nur zwei Schlüsse möglich: Entweder der Bezirk sabotiert mutwillig seine eigene Verkehrsberuhigung im Graefekiez, durch den er jetzt den gesamten Verkehr zum und vom Krankenhaus schickt. Oder er stellt Verkehrsschilder auf, von denen er gar nicht erwartet, dass sich irgendwer daran hält. Für eine kommunale Verwaltung wäre das aber schon ein ziemlich starkes Stück.
mogblog hat dazu unter dem Titel "Es kommt zu Verzögerungen" ein Stück geschrieben, das viel Resonanz fand. Es gab einige Fortsetzungen (hier und hier), Timur Husein von der CDU schlug dankenswerterweise in einem Antrag in der BVV vor, die Beschilderung doch einfach in "Kfz frei" zu ändern - wodurch alle Probleme auf einen Schlag gelöst wären. Er fand weder im Sozial- noch im Verkehrsausschuss noch in der BVV eine Mehrheit. Immerhin räumte der Chef des Straßen- und Grünflächenamtes, Felix Weisbrich, "dringenden Änderungsbedarf" ein und versprach tatsächlich, den südlichen Teil der Grimmstraße künftig mit "Fahrradstraße - Kfz-Verkehr frei" auszuschildern. Das war im März. Jetzt fragt sich natürlich alle Welt, was "dringend" im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bedeutet.
Bisher jedenfalls ist nichts passiert. Unwillkürlich kommt einem ein Märchen der namensgebenden Brüder Grimm in den Sinn. Darin geht es nicht um "dringend", aber um eine "Sekunde" und zwar darum, wie lange wohl eine Sekunde der Ewigkeit währt. Ein König fragt einen als weise geltenden Hirtenjungen um Rat und der erzählt von einem gewaltigen Berg, eine Stunde in die Höhe, eine Stunde in die Breite, eine Stunde in die Tiefe: "Alle hundert Jahre kommt ein Vöglein und wetzt seinen Schnabel daran und wenn der ganze Berg abgewetzt ist, dann ist die erste Sekunde der Ewigkeit vorbei." Bleibt zu hoffen, dass es in Kreuzberg nicht ganz so lange dauert.
Update 12.10.2021: Das Bezirksamt hat heute eine "Verstetigung der Fahrradstraßen zwischen Südstern und Mariannenplatz" angekündigt, wozu auch eine "dauerhafte Beschilderung" gehört, welche die bisherigen mobilen Verkehrszeichen ersetzen soll. Zeitraum der Bauarbeiten: 11.10. bis 15.11.2021.