Das Bezirksamt macht sich am Mehringdamm zurzeit keine Freunde
"Wir brauchen in der Stadt jede grüne Oase im öffentlichen Raum, jeder Baum ist eine biologische Klimaanlage. Ein Parkplatz mit glühendem Asphalt hingegen nutzt nur der einen Person, die dort ihr Auto abstellt. Der Allgemeinheit dient er nicht. Radikaler Klimaschutz bedeutet, in der Innenstadt keine weiteren Grünflächen zu bebauen, sondern im Zweifel öffentliche Flächen zu entsiegeln und zu begrünen." Wer hat das gesagt? Niemand anders als die Kreuzberger Grünen-Umweltstadträtin und vermutlich künftige Bürgermeisterin Clara Herrmann.
Die derzeitigen Zustände am Mehringdamm lassen an ihren Worten zweifeln. Ausgerechnet an der vielbefahrenen Hauptverkehrsstraße gab es nämlich einige dieser "grünen Oasen" - verwilderte, seit Jahren ungepflegte Hochbeete mit Sträuchern, allen möglichen Wildblumen, ein Anwohner will sogar eine Zauneidechse identifiziert haben. Unansehnlich und nicht wirklich schön. Aber wertvolle Biotope für Spatzen und Amseln, Rotkehlchen vielleicht, jede Menge Insekten, Schmetterlingsraupen, Trittsteine, die Verbindungen schaffen. Samen von Windblumen-Königskerzen konnte man dort im Herbst sammeln und andere Seltsamkeiten.
Weil umfängliche Leitungsarbeiten bei Gas und Wasser anstehen und außerdem der Radweg nach "den Maßgaben des Mobilitätsgesetzes" umgestaltet werden soll, wurden diese Hochbeete im Frühjahr fast komplett plattgemacht. Entstanden ist - zumindest während der Bauarbeiten - eine flächendeckend versiegelte Asphaltwüste, welche kaum dem Klimaschutz dienen dürfte. Das Bündnis Stadtnatur in K61 und die Berliner Naturfreunde hatten schon mehrfach Alarm geschlagen, vergangene Woche riefen sie erneut zu einer Protestkundgebung auf.
Vor Ort schlagen die Wellen der Empörung hoch. Von einer "stadtökologisch katastrophalen Planung" ist die Rede, einem "Totalversagen" bei der Förderung der Biodiversität. "Die Planungen und das Bauvorhaben finden ohne jegliche Beteiligung der Anwohner- und Bürger*innen statt", klagen die Veranstalter. "Der Grünstreifen wird ohne Not nahezu komplett versiegelt. Es erfolgt ein rücksichtsloser Eingriff in Lebens- und Aufenthaltsqualität sowie in Fauna und Flora. Nachhaltige und zukunftsfähige Planung in einem der dichtbesiedelsten Stadtteile Berlins geht anders!"
Ausgerechnet eine überaus grüne Klientel wirft den Grünen im Bezirk nun "ungrüne" Politik vor. Laufende Programme wie die Begrünung von Innenhöfen seien "ein Witz, wenn man sieht, was hier alles verschwindet", so Anwohner Stefan Elfenbein: "Leider habt ihr meine Stimme verloren! So geht's einfach nicht!" Eine ältere Dame von der Dauerbaustelle Mehringplatz sieht das genauso: "Ich hab's satt mit den Grünen!" Angela Laich vom Bündnis Stadtnatur sagt nur: "Es ist der Wahnsinn! Wir verlieren die gesamte biologische Vielfalt!" Dann werden von fleißigen Händen in einer symbolischen Pflanzaktion ein paar kleine Harlekinweiden und Kupfer-Felsenbirnen eingetopft, damit auf dem hässlichen Asphalt wenigstens irgendwas wächst.
Ähnlich problematisch wie das zerstörte Grün scheint die Verkehrsführung während der Baustellenzeit. Der gerade mal ein Meter breite Radweg wurde komplett von der Straße weg auf das Trottoir verlegt - auch in Corona-Zeiten bei Sonne eine beliebte Flaniermeile mit vielen Ladengeschäften und Streetfood-Anbietern. Dort steht Fußgängern jetzt zum Teil nur noch eine Restbreite von 1,20 Metern - an einer Stelle sogar von lediglich 0,80 Metern - zur Verfügung. Für Rollstuhlfahrer und mit Kinderwagen ist das ohne gefährliches Ausweichen auf den Radweg nicht passierbar. Angesichts der derzeit geltenden Corona-Abstände für Personengruppen oder bei Gegenverkehr ebensowenig.
Zudem kommen die zahlreichen Radler in der Regel mit ganz beträchtlichen Geschwindigkeiten den Kreuzberg heruntergeschossen - immerhin fanden hier bis 2013 die legendären Seifenkistenrennen statt. Für sie könnten vor allem bei schlechten Sichtverhältnissen die stabilen, nicht eigens markierten Metallpfosten gefährlich werden. In Berlin ist nach den Ausführungsvorschriften zum Straßengesetz vom 16.05.2013 grundsätzlich eine Gehwegbreite von mindestens 2,50 Metern - in Ausnahmefällen von 2,00 Metern - vorgeschrieben, plus weitere 0,50 Meter Abstand zu Straße oder Radweg.
Laut Naturschützer wurden auf ihren Druck hin immerhin zwei von 14 Hochbeeten teilweise und eines vollständig erhalten. Mobile Pflanzencontainer ließen bisher jedoch auf sich warten. In der Bezirksverordnetenversammlung berichtete Bürgermeisterin Monika Herrmann, für die Leitungsarbeiten seien die Berliner Wasserbetriebe und die Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg zuständig. Letztere habe erklärt, die Asphaltierung sei nötig, um "eine arbeitssichere Grundlage für die Anlage der Bauschächte und -gruben herzustellen". Weitergehende Nachfragen von mogblog, wie lange die Tiefbauarbeiten wohl dauern werden, wann die geplante Radverkehrsanlage fertig sein soll, ob dafür eine öffentlich zugängliche Plandarstellung existiert und ob das Bezirksamt die aktuell noch vorhandenen Verkehrsflächen für Fußgänger - auch mit Blick auf die Corona-Pandemie - für ausreichend hält, wurden von der Behörde bisher nicht beantwortet.
Info: Bündnis Stadtnatur in K61 mit Unterschriftenliste