Am Dorfbrunnen

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Was mog61 e.V. mit den neuen Fahrradbügeln in der Mittenwalder Straße zu tun hat

Offizielle Einweihung. Links Dr. Turgut Altug (MdA, Grüne), rechts daneben das mog61-Team und davor das legendäre mogmobil. Foto: Robert S. Plaul

Manchmal lohnt ein Blick aufs Detail. Fahrradbügel fallen in Friedrichshain-Kreuzberg längst nicht mehr auf. Aber was da in Höhe der Mittenwalder Straße 44 seit kurzem drei Autoparkplätze vernichtet, sind nicht einfach nur sechs Fahrradbügel. Dazwischen, durch rot-weiß gestreifte Poller abgetrennt, befindet sich noch ein rechteckiger freier Platz, direkt neben der Schwengelpumpe. Zu klein für ein Auto, aber groß genug für ein temporäres Planschbecken oder einen etwas größeren Blumenkübel. Ja, im Moment parkt da nur ein Motorrad, aber das muss ja nicht immer so bleiben.

Der Arbeitstitel für die ganze Installation lautet: "Am Dorfbrunnen". Die Idee dazu stammt vom Verein mog61 Miteinander ohne Grenzen e.V. und das Straßen- und Grünflächenamt des Bezirks ist dafür zu loben, dass es diese Idee aufgegriffen und den Vorschlag umgesetzt hat. Auch Dr. Turgut Altug, für die Kreuzberger Grünen im Abgeordnetenhaus, half kräftig mit. Im Überschwang sprossen dann gleich noch an anderen Stellen der Mittenwalder und der Fürbringerstraße Bügel wie Pilze aus dem Boden, wofür der Radfahrer ebenfalls dankbar ist. Aber warum "Am Dorfbrunnen"?

Das Projekt hat zwei Wurzeln und die reichen schon einige Jahre zurück. mog61 e.V. ist bekannt für sein jährliches Straßenfest (wenn nicht gerade Corona ist) und hat gerade eben wieder eine wunderbar entspannte Fête de la Musique in der Fürbringerstraße organisiert. Daneben kümmert sich der gemeinnützige Verein seit Jahren um Blumen und Bäume rund um den U-Bahnhof Gneisenaustraße. Das führt schnell zum Hauptproblem der Großstadtvegetation, neben Vermüllung und Vandalismus - dem Wasser.

Unersetzliche Schwengelpumpe

Weil es viel zu trocken ist, fordert der Bezirk seit Jahren die Bürger auf, beim Gießen zu helfen. "Jeder Liter zählt", so Stadtrat Florian Schmidt im Sommer 2018. Woher das Wasser kommen soll, verriet er damals nicht. Nun verfügt Berlin glücklicherweise über ein historisches Netz von grundwassergespeisten Straßenbrunnen, allein in Kreuzberg stehen knapp 100 davon. Jedoch ist rund die Hälfte davon üblicherweise kaputt. Das führte zu der misslichen Situation, dass der Bezirk einerseits seinen Job nicht geregelt bekommt und die Bürger um Hilfe bitten muss - andererseits aber nicht einmal die vorhandenen Brunnen in Ordnung bringt, damit wenigstens das nötige Wasser zur Verfügung steht. Worauf Oma und Opa nun mühsam Eimer für Eimer aus dem dritten Stock herunterschleppen. Oder so ähnlich.

mogblog hat das Pumpendesaster im Sommer 2019 und nocheinmal 2020 in Zusammenarbeit mit "Kiez und Kneipe" akribisch dokumentiert. Inzwischen deutet sich aber Besserung an. Seit 2020 leiht das Straßen- und Grünflächenamt großzügig Standrohre aus, mit deren Hilfe sich Gießgruppen aus den Hydranten am Straßenrand versorgen können. Außerdem wurden mehrere Schwengelpumpen repariert. Zumindest der für mog61 lebenswichtige Straßenbrunnen KB 092 funktioniert seit Juni 2021 wieder. Damit sind die Beete in der Gneisenaustraße gerettet: Ihre Wasserversorgung hängt im Wesentlichen an dieser einen dunkelgrünen Pumpe. Im Sommer hat mog61 e.V. hier freitags 17 Uhr einen wöchentlichen Gießtreff eingerichtet.

Jetzt versteht man vielleicht besser, welche Bedeutung diese harmlose Schwengelpumpe für die umgebende Stadtnatur hat. Die zweite Wurzel des Projekts "Am Dorfbrunnen" geht auf das Wörtchen "Begegnung" zurück. Um "Begegnung", "Nachbarschaft", "Zivilgesellschaft" ranken sich viele Fantasien, deren Hauptinhalt darin besteht, offenkundige Löcher zu stopfen, welche die marktwirtschaftlich organisierte Gesellschaft lässt. Man erinnert vielleicht die hässlichen Parklets in der "Begegnungszone" Bergmannstraße, die sich schnell zum sozialen Brennpunkt entwickelten. Inzwischen gibt es dort - wie von mogblog prophezeit - eine mehrspurige Fahrradrennstrecke und nicht mehr Begegnung als vor dem Umbau. Andere eher fragwürdige Beispiele im Kiez sind das neugestaltete Fraenkelufer und der Mehringplatz.

Raum für Gemeinsamkeit

Dahinter versteckt sich die Frage, wie die Großstadt einmal aussehen wird, wenn die Autos verschwunden sind (denn verschwinden werden sie), oder noch grundsätzlicher: Was die Stadt überhaupt - im Gegensatz zum Dorf - zur Stadt macht und in welcher Art von Stadt wir künftig leben wollen. Wie entsteht Gemeinsamkeit? Welche Räume befördern sie? Eher naiv erscheint da die Vorstellung, man müsse lediglich existierende Straßen für Autos sperren, mit ein paar Pflanzkübeln garnieren, worauf dann alle Kinder des Viertels sofort dort "rollern, mit Straßenkreide malen oder herumtoben" - wo doch direkt daneben ein wunderbarer Spielplatz lockt, der sich dafür viel besser eignet.

Solche Gedanken im Kopf besann sich mog61 auf seine Schwengelpumpe. Im Dorf gibt es nicht nur das Wirtshaus, wo die Pferde gewechselt werden, und die Dorflinde, in deren Schatten das Bier am besten schmeckt, sondern auch einen Dorfbrunnen. Dort holen die jungen Frauen in großen Krügen das Wasser, die Kerle werfen ihnen heiße Blicke zu und natürlich ist das generell ein Ort für Ratsch und Tratsch, wer mit wem und wieso und warum überhaupt. Mit der öffentlichen Trinkwasserversorgung aus dem Hahn hatte sich das erledigt, es blieben ein halbes Stündchen vor und nach dem sonntäglichen Gottesdienst, die Bäckerei, der Kramladen, ein paar Worte an der Supermarktkasse.

Um das abzukürzen: Nach Auskunft des Senats dienen die mehr als 2000 Berliner Straßenbrunnen der "Ersatz- bzw. Notwasserversorgung der Bevölkerung im Krisen- bzw. Katastrophenfall" - nach Putins Angriff auf die Ukraine und seinen atomaren Drohgebärden gegenüber der NATO darf man diese Worte ruhig zweimal lesen. Daneben lassen sie sich in Zeiten steigender Temperaturen wunderbar benutzen zum Bäume- und Blumengießen. Die bahnbrechende Idee von mog61 e.V. bestand jetzt aber darin, dass sich mit der ökologischen eine soziale Funktion verbinden lässt: Wo lässt sich besser zusammenklumpen und über E-Roller, Leihfahrräder, Raser und böse Nachbarn schimpfen als Freitagabend an der "Plumpe", wenn sich dort sowieso alle auf ein Gläschen Sekt oder schlicht zum Gießen treffen?

Ein Ort der Begegnung

Die unauffällige, oft schäbige, meist übersehene Schwengelpumpe als "Ort der Begegnung"? Gemeinsames Blumen- und Bäumegießen als Keimzelle für mögliche weitergehende Kommunikation? Da braucht es Platz, um die Ellbogen nicht gleich gegen die nächste Autotür zu rammen, für Tischchen oder Planschbecken oder Blumenkübel (siehe oben). Den gibt es jetzt. mog61 e.V. hatte die Idee, der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat sie sich zu eigen gemacht und deshalb heißt die Schwengelpumpe KB 092 in der Mittenwalder Straße künftig "Am Dorfbrunnen".

Eine Schwengelpumpe ist nicht nur zum Gießen da! Foto: ks