Kreuzberg bleibt grün

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Überraschung: Der CDU steht jetzt ein Stadtratsposten zu

Friedrichshain-Kreuzberg aus grüner Perspektive. Foto: ks

Bei der Berliner Wahl am 12. Februar 2023 gab es aus Kreuzberger Sicht einige Überraschungen. Der Bezirk bleibt grün, jawohl, tiefgrün sogar. Aber ein wenig verändert hat sich die Welt seit der letzten Wahl vor 16 Monaten eben doch. Beginnen wir zunächst mit den Direktkandidaten für das Abgeordnetenhaus (eine vorläufige Analyse zur Berliner Wahl auf Landesebene hier: "Gewinner und Verlierer").

• Wahlkreis 1 (Askanischer Platz, Mehringplatz westlich Lindenstraße / Axel-Springer-Straße, Gleisdreieck, Rathaus Yorckstraße, Urbanstraße westlich Zossener Straße, Viktoriapark, Chamissokiez): Katrin Schmidberger (Grüne) gewinnt überzeugend mit 40,3 Prozent der Stimmen (2021: 41,3 Prozent), andere Bewerber bleiben erwartungsgemäß chancenlos. Die Grünen fahren 37,0 Prozent der Zweitstimmen ein, d.h. Schmidberger wird als Person noch höher geschätzt als ihre Partei.

• Wahlkreis 2 (Wassertorplatz, Graefekiez, Reichenberger Straße, Wrangelkiez) geht erneut an Marianne Burkert-Eulitz (Grüne) mit 37,9 Prozent der Erststimmen (2021: 38,5 Prozent), relativ dicht gefolgt von Elif Eralp (Linke) mit 27,1 Prozent. Zweitstimmenanteil der Grünen hier 38,3 Prozent.

• Wahlkreis 3 (Mehringplatz östlich Lindenstraße/Axel-Springer-Straße, Moritzplatz, Oranienplatz, Lausitzer Platz, Urbanstraße östlich Zossener Straße): Dr. Turgut Altug (Grüne) gewinnt mit 35,0 Prozent der Stimmen (2021: 35,1 Prozent) unangefochten. Zweitstimmenergebnis der Grünen: 32,9 Prozent. Ebenfalls ein deutlicher persönlicher Bonus.

• Wahlkreis 4 Friedrichshain-West bringt die erste Überraschung: Hier hatte Damiano Valgolio (Linke) 2021 die Kreuzberger Ex-Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) auf den zweiten Platz verwiesen und ihren Einzug ins Abgeordnetenhaus vereitelt, weil sie auf der Landesliste nur schlecht abgesichert war (vgl. "Abschied von Monika?"). Beim zweiten Versuch wird es nicht besser: Valgolio erringt am Sonntag 24,7 Prozent der Erststimmen (2021: 24,7 Prozent), Monika Herrmann lediglich 22,3 Prozent (2021: 23,8 Prozent). Das ist deutlich weniger als noch 2021 und liegt sogar knapp unter dem Grünen-Zweitstimmenanteil von 22,4 Prozent. Monika Herrmann zieht also erneut nicht ins Abgeordnetenhaus ein.

• Wahlkreis 5 Friedrichshain-Nord geht wieder an Vasili Franco (Grüne) mit 36,1 Prozent (2021: 34,3 Prozent) vor einem nicht mehr ganz so starken Steffen Zillich (Linke; 21,9 Prozent) und im

• Wahlkreis 6 Friedrichshain-Süd glänzt der noch aus der BVV bekannte Julian Schwarze (Grüne) mit beachtlichen 39,5 Prozent (2021: 38,6 Prozent), womit er alle Mitbewerber deklassiert.

Timur Husein im Abgeordnetenhaus

Künftig im Abgeordnetenhaus: Timur Husein. Foto: CDU

Direkt ins Abgeordnetenhaus ziehen ein Katrin Schmidberger, Marianne Burkert-Eulitz, Dr. Turgut Altug, Vasili Franco, Julian Schwarze (alle Grüne) und Damiano Valgolio (Linke); über die Landeslisten Elif Eralp (Linke), Steffen Zillich (Linke), Sevim Aydin (SPD), Sven Heinemann (SPD), Kurt Wansner (CDU) und Dr. Timur Husein (CDU). Das ist die zweite Wahlüberraschung: Der Chef der bisher überschaubaren CDU-Fraktion in der Friedrichshain-Kreuzberger BVV Timur Husein schafft bei der Wahl am Sonntag den Sprung ins Landesparlament.

Gucken wir noch auf die Zweitstimmen im Bezirk: Grüne 33,5 Prozent (2021: 32,3; 2016: 28,4 Prozent), Linke 21,1 Prozent (2021: 23,5; 2016: 23,4 Prozent), SPD 14,6 Prozent (2021: 15,1; 2016: 18,2 Prozent), CDU 13,4 Prozent (2021: 7,7; 2016: 7,8 Prozent), FDP 3,3 Prozent (2021: 4,8; 2016: 3,9 Prozent) und AFD 3,7 Prozent (2021: 3,1; 2016: 6,4 Prozent). Grüne und Linke liegen in Friedrichshain-Kreuzberg fast doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Die Grünen können ihr Wählerpotential noch ausbauen, die Linken verlieren. Die SPD schmilzt weiter Prozentpunkt für Prozentpunkt dahin, die FDP verliert ebenfalls. Die dritte Überraschung des Wahlabends ist das phänomenale Abschneiden der CDU, die ihr Ergebnis fast verdoppelt und damit beinahe zur SPD aufgeschlossen hat. Die CDU! In Kreuzberg!

Gewiss, es handelt sich nur um 13,4 Prozent. Aber die Zahlen sind dramatischer, als es auf den ersten Blick scheint. In einigen Stimmbezirken ist die CDU mittlerweile stärkste Partei. Etwa rund um den Mehringplatz: CDU mit 25 Prozent vor SPD und Linken, die Grünen nur noch mit 16 Prozent. Moritzplatz M: CDU plus 11,5 auf 22,3 Prozent. Moritzplatz Q: CDU plus 15,8 auf 27,4 Prozent. Moritzplatz N: CDU plus 16,0 auf 31,6 Prozent, SPD minus 5,7, Grüne minus 4,4 auf aktuell nur noch 11,3 Prozent. Im derzeit besonders beachteten Graefekiez dominieren nach wie vor die Grünen. Aber selbst oder besonders dort erzielt die CDU Zugewinne von fünf bis acht Prozentpunkten.

Stabile Mehrheit für Grün-Rot-Rot

Bleibt noch die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Schauen wir zunächst auf die Prozente (in Klammern der Vergleich zu 2021 und 2016): Grüne 34,5 Prozent (2021: 34,6; 2016: 32,7 Prozent), Linke 20,6 Prozent (2021: 21,6; 20,8 Prozent), SPD 13,5 Prozent (2021: 14,8; 2016: 17,2 Prozent), CDU 13,2 Prozent (2021: 7,9, 2016: 7,7 Prozent), FDP 3,3 Prozent (2021: 4,7, 2016: 3,2 Prozent), AFD 3,6 Prozent (2021: 3,1; 2016: 6,2 Prozent). Das entspricht so ungefähr den Zweitstimmen im Bezirk bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus: Die Grünen können ihr Wählerpotential halten, die Linke verliert, besonders anschaulich werden hier die Verluste der SPD über die Jahre hinweg, die CDU gewinnt - wohl auch auf Kosten der FDP.

Von den insgesamt 55 Plätzen in der BVV bekommen die Grünen 21 Sitze (2021: 22; 2016: 20), die Linke 12 (2021: 13; 2016: 11), SPD 8 (2021: 9; 2016: 10), CDU ebenfalls 8 (2021: 5; 2016: 4) die FDP 2 (2021: 3; 2016: 2), AFD 2 (2021: 1; 2016: 3) und die Partei 2 (2021: 2; 2016: 4). Damit verliert die FDP ihren Fraktionsstatus und wird wieder zum Familienbetrieb. Die klassische Kreuzberger grün-rot-rote Mehrheit ist nach wie vor überwältigend und reduziert sich lediglich von bisher 44 auf jetzt 41 Sitze. Die vierte große Überraschung der Wahl ist nicht nur das unerwartet gute Abschneiden der CDU auch auf Bezirksebene. Ihr steht nach Auskunft des Landeswahlleiters nun ein Stadtratsposten zu - d.h. Regine Sommer-Wetter (Linke) müsste ihren eigentlich an die CDU abtreten. Dazu wird es sicherlich noch jede Menge Diskussionen geben.