Nach dem Chaos beim ersten Mal müssen die Berliner am Sonntag schon wieder ran
Am besten platzen wir gleich damit heraus: mogblog hat keinen Bock auf diese Wahl. Seit Wochen hängen wieder überall Plakate herum, die gleichen Gesichter, die gleichen Sprüche. Das soll jetzt wirklich nicht unhöflich klingen, aber man hat die hohlen Parolen nachgerade noch satt vom letzten Mal. Nach fünf Jahren vergisst man, was die Kandidaten früher versprochen haben, wie wenig daraus geworden ist und dass sie jetzt ungefähr das Gleiche erneut versprechen. Aber 16 Monate sind einfach zu kurz! Ist die Welt seither besser geworden? Gerechter? Der Müll liegt immer noch auf den Straßen herum, die Lieblingschips kosten inzwischen 2,29 Euro und wer die Heizung über 18 Grad hochdreht, kann aus Angst vor der Nachzahlung nachts nicht mehr schlafen. So schaut es aus!
Ohnehin ist die "Wiederholungswahl" keine Wiederholung, sondern ein berlin-spezifischer Unglücksfall. Wiederholung würde bedeuten: Nach sechs bis acht Wochen zurück auf Los und ab an die Urne! Bekommt die Hauptstadt nicht hin. Blöderweise hat sich die Welt inzwischen ein paar Runden weitergedreht, aber die Kandidaten sind gleich. Das führt zu der absurden Situation, dass Clara Herrmann für die Grünen wirbt - tatsächlich ist sie längst Bürgermeisterin, wird das auch bleiben und zieht sowieso nicht ins Bezirksparlament. Statt Neuwahl eher ein heilender Verwaltungsakt, bei dem der Wähler die Arbeit erledigt und sich ein wenig wie an der Express-Kasse vorkommt, wo der Kunde das Bezahlen organisiert, weil der Supermarkt sich nicht genug Personal leisten kann.
mogblog will also nicht wählen gehen. Wer das im Bekanntenkreis ausplaudert, erntet Empörung ohne Ende. Wählen ist Bürgerpflicht! Demokratie braucht Mitwirkung und Engagement! Jede verlorene Stimme ist eine Stimme für Rechts! Natürlich ist das Unfug. Der Nichtwähler unterstützt im Zweifelsfall den Sieger - und das ist in Berlin mit Sicherheit nicht die AFD. Und Demokratie unterscheidet sich auch dadurch von Schlimmerem, dass kein Zwang zum Mittun existiert und niemand einmal pro Woche zum Bückling vor dem Parteikollektiv antanzen muss, um einen Studienplatz oder sonst etwas abzugreifen. Hat der Bürger eine Pflicht oder nicht eher ein Recht zur Wahl? Und ist die Regierung nicht umgekehrt verpflichtet, ihren Job möglichst gut zu machen? Tut sie das? Bitte.
Darum war hier bisher wenig zur Wahl zu lesen. Wer sich für die Positionen der Parteien interessiert, kann gerne beim 26. September 2021 nachschlagen. Damals hatte mogblog fünf Spitzenkandidaten gebeten, kurz aufzuschreiben, warum sie unbedingt in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gewählt werden wollen. Dabei sollten jeweils eine bestimmte prominente Person der Zeitgeschichte, ein bestimmtes Thema und ein wildes Tier vorkommen. Die Ergebnisse waren sehr lustig und informativ. Hier Oliver Nöll (Die Linke), Marlene Heihsel (FDP), Timur Husein (CDU), Clara Herrmann (Grüne) und Hannah Sophie Lupper (SPD). Noch ausführlicher sind die Antworten der Parteien auf die damaligen Wahlprüfsteine des gemeinnützigen Vereins mog61 Miteinander ohne Grenzen e.V. Allzu viel wird sich in Zwischenzeit nicht geändert haben.
Im Grunde stellen sich am Sonntag nur zwei Fragen. Laut Umfragen wird die CDU stärkste Partei - nur hilft ihr das wenig, weil niemand mit ihr koalieren will. Und als Juniorpartner tritt eine eher linke Berliner SPD niemals in eine CDU-geführte Regierung ein. Bleibt nur zu klären, ob die Regierende Bürgermeisterin wieder Franziska Giffey (SPD) heißt oder ob sie von Bettina Jarasch (Grüne) abgelöst wird, die sich dann in den übergroßen Fußstapfen von Ernst Reuter, Willy Brandt und Richard von Weizsäcker versuchen müsste. Im letzteren Fall, wird in Eckkneipen gemunkelt, könnte sich Giffey genervt in Richtung Bund davonmachen und es schlüge Raed Salehs große Stunde. Andernfalls bliebe alles gerade so, wie es ist. Mit Blick auf die Koalitionsarithmetik wäre allenfalls noch von Belang, ob die FDP überhaupt die Fünf-Prozent-Hürde knackt.
Kreuzberger sind außerdem neugierig, ob Ex-Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne), die in Friedrichshain-West knapp gegen Damiano Valgolio (Linke) verlor, es nun im zweiten Anlauf ins Abgeordnetenhaus schafft. Die Chancen dafür stehen nicht allzu schlecht. Sonst ändert sich im Bezirk vermutlich wenig. Katrin Schmidberger, Marianne Burkert-Eulitz und Dr. Turgut Altug (Grüne) werden mit Sicherheit ihr Direktmandat nach Hause bringen, Kurt Wansner (CDU) via Liste ins Landesparlament einziehen und ob es für Sevim Aydin (SPD) und Elif Eralp (Linke) ebenfalls reicht, wird sich am Wahlabend zeigen. Bezirksbürgermeister und Stadträte sind als Beamte auf Zeit von der Wahl ohnehin nicht betroffen und in der BVV herrscht unangefochten Grün-Rot-Rot.
Aber schließlich geht es auch um Nuancen und Stimmungen. Die anhaltende Klimadiskussion sollte den Grünen eigentlich kräftigen Aufwind bescheren. Oder wandern nach der Räumung von Lützerath jetzt Teile der Wähler zu radikaleren Gruppierungen ab? Verschreckt der rot-weiße Pollerwahnsinn an Bergmannstraße und Chamissoplatz bürgerliche Kreise? Wird die Linke diesmal von der AFD überholt und landet sogar auf Platz fünf? Und wie sortiert sich die SPD neu nach einer möglichen Niederlage von Franziska Giffey? Ganz uninteressant ist das alles ja nicht. Okay, okay - der Autor wird sich am Sonntag erst mal ins Lieblingscafé setzen und gucken, wie lang die Schlange ist. Und im September 2021 war sie mächtig lang! Vielleicht wählt er dann ja noch das ewige Leben.
Update 13.02.2023: Bild vorne geändert.